Wettlauf gegen die Zeit: Die maritime Branche und das Klimaziel

Rund vier Monate vor Start der Messe SMM vom 6. bis 9. September 2022 in Hamburg traf sich anlässlich der internationalen Vorauspressekonferenz eine Experten-Runde, um über die drängendsten Themen der maritimen Branche zu sprechen. Im Fokus stand die Frage, wie die Schifffahrt bis 2050 klimaneutral wird. Optionen gibt es viele – sogar Atomkraft könnte wieder ins Spiel kommen.

Wie geht es weiter in der maritimen Branche? Das diskutierten die Experten auf der Vorauspressekonferenz zur SMM. (Bild: Hamburg Messe und Congress/Rolf Otzipka)
Wie geht es weiter in der maritimen Branche? Das diskutierten die Experten auf der Vorauspressekonferenz zur SMM. (Bild: Hamburg Messe und Congress/Rolf Otzipka)
Nadine Bradl

Es waren ungewohnt ernste Töne, die Messe-Chef Bernd Aufderheide zu Beginn der SMM-Vorauspressekonferenz gegenüber den internationalen Journalisten anschlug.

„Die Corona-Krise ist noch nicht überwunden, da führt der Krieg in der Ukraine zu einem erneuten schweren Schlag für die globale Wirtschaft und damit auch für die internationale Schifffahrt, für Logistikketten und Häfen”, sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Hamburg Messe und Congress (HMC).

Der Krieg zwinge Europa, sich aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien – und mache den Abschied von fossilen Brennstoffen noch dringlicher. Jenseits von Pandemie und Krieg bleibe die Erwärmung des Planeten das existenzielle Menschheitsproblem. 

Ein Problem, gegen das auch die Schifffahrt kämpft. Wie wird sie möglichst schnell klimaneutral? Das ist das zentrale Thema der diesjährigen SMM, die unter dem Leitmotiv „Driving the maritime transition“ steht. Als Vorgeschmack auf den großen Branchentreff im September lud Aufderheide fünf Gäste nach Hamburg ein. Das Publikum schaltete sich digital dazu.

Zusammenarbeit als Schlüssel zum Erfolg

Die Schifffahrt hat sich für 2050 das Zero-Emission-Ziel gesetzt. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Auf welchen alternativen Brennstoff sollen die Reeder setzen? Im Spiel sind unter anderem Ammoniak, Methanol, Wasserstoff und synthetisches Gas. Klar sei: Wer pünktlich klimaneutral sein will, muss jetzt investieren.

Knut Ørbeck-Nilssen, CEO Maritime bei der Klassifikationsgesellschaft DNV, rät zu Flexibilität: „Warum sollten wir uns auf ein bestimmtes Lager festlegen, wenn es um Kraftstoffe geht? Wir bewegen uns wahrscheinlich auf ein Brennstoff-Multiversum zu, und wir brauchen möglichst viele Experimente mit verschiedenen Brennstoffen und so viele Akteure wie möglich, die diese Experimente durchführen.“

Man könne nicht warten, bis die perfekte Brennstofflösung auftauche – und müsse jetzt mit dem Übergang beginnen, so Ørbeck-Nilssen. Die Technologie zur Kohlenstoffeinsparung sei da:

„Wir müssen uns den Geist der Zusammenarbeit zu eigen machen, um gemeinsame Herausforderungen wie Sicherheit, Kraftstoffverfügbarkeit und Kosten zu bewältigen – wir können nur gewinnen, wenn wir zusammenarbeiten." 

Die Schifffahrt in der Falle

Sich einfach viele Brennstoff-Optionen offenhalten – ob die maritime Energiewende so gelingt?

Der maritime Ökonom Prof. Dr. Martin Stopford ist skeptisch: „Die Schifffahrt ist kein idealer Kandidat für grüne Kraftstoffe!“

Keine der Alternativen sei so effizient wie Schweröl, aber dafür umso teurer. Außerdem bezweifle er, dass es überhaupt genug Kapazitäten gibt:

„Es ist unwahrscheinlich, dass die Industrie in den kommenden zehn Jahren so viel grünen Brennstoff in die Hände bekommen wird. Im Jahr 2020 wurden nur 13 Prozent des Stroms aus kohlenstofffreien Brennstoffen erzeugt."  

Mehr Potenzial prophezeite Stopford für „Retrofitting-Packages“, also Komplett-Lösungen, mit denen die Effizienz von Schiffen signifikant gesteigert wird:

„Die Weltflotte von 100.000 Schiffen nachhaltig umzurüsten – das ist eine gewaltige Aufgabe!“

Angesichts der Kosten und Beschränkungen herkömmlicher grüner Brennstoffe rücke die Wirtschaftlichkeit der Kernenergie stärker in den Fokus.

 

Gewinner und Verlierer

Auf welchen Brennstoff es am Ende auch hinausläuft: Die Schiffbauer und Zulieferer haben das Know-how, die passende Antriebstechnologie bereitzustellen. René Berkvens, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands SEA Europe und ehemaliger CEO der Damen Group, forderte von der gesamten europäischen Schifffahrt mehr Bereitschaft, kraftstoffsparende Technologien und alternative Kraftstoffe – sowohl bei neuen Schiffen als auch bei der Nachrüstung von Schiffen – einzusetzen. 

In der Industrie wird gerade den Reedern eine fast schon traditionelle Kaufzurückhaltung nachgesagt. Dem widersprach Nikolaus H. Schües, designierter Präsident der BIMCO und Vorsitzender der Geschäftsführung der Reederei F. Laeisz:

„Wir sind nicht übervorsichtig, wir handeln vernünftig. Angesichts der derzeitigen technischen Unsicherheit ist es sinnvoll, bei den Investitionen selektiv vorzugehen.“

Schües betonte jedoch: „Wir wollen die Branche grüner machen, weil wir davon überzeugt sind, dass dies der richtige Weg ist."

Vielen Schifffahrtsunternehmen fehle jedoch derzeit der finanzielle Spielraum dafür:

„Im Moment profitieren vor allem die großen Containerreedereien.“

Einige Reeder litten noch unter den Folgen der jahrelangen Krise.

„Aber egal wie teuer der Übergang sein wird – für die Gesellschaft wird es teurer sein, diesen Weg nicht zu gehen.“

Gewinner und Verlierer gibt es auch bei den Schiffbauern:

„Die weltweiten Auftragsbücher sind voll – aber das kommt vor allem den asiatischen Werften zugute, die Containerfrachter und LNG-Tanker bauen“, so Berkvens.

Die hochspezialisierten Werften und Zulieferer in Europa hoffen nun auf das Comeback des Kreuzfahrtmarkts sowie auf das Geschäft mit erneuerbaren Energien im Offshore-Bereich – und die Bereitschaft der Reeder, in neue Technologien zu investieren.  

Zurück zu den Wurzeln

Cristina Aleixendri, COO bei bound4blue, sieht sich hier im Aufwind:

„Die Branche ist zu sehr auf grüne Kraftstoffe fokussiert. Aber es gibt andere nachhaltige Antriebslösungen. Wind als Energiequelle ist frei verfügbar – warum sollte man sich das nicht zunutze machen?"

Mit den automatisierten Windsegeln ihres spanischen Start-ups könnten Schiffe schon heute 30 bis 40 Prozent Treibstoff einsparen. Für sein nachhaltiges Engagement wird bound4blue vom Europäischen Innovationsrat gefördert.

Vor allem Reeder Schües ist von dem Ansatz begeistert: „Es gibt nichts Natürlicheres, als mit Wind eine Vorwärtsbewegung zu erzeugen."

Sein Traum: der Transport von grünem Ammoniak mit Segelantrieb. Für die Reederei wäre das eine Rückkehr zu ihren Wurzeln: F. Laeisz hat sich vor über 100 Jahren mit den Flying P-Linern einen Namen gemacht. Die Windkraft könnte zu einem wichtigen Bestandteil der Energiewende an Bord werden. Das Beispiel zeigt: Es liegen zahlreiche Lösungen auf dem Tisch, um die Mission Zero Emissions anzugehen.

„Wir sind bereit, in Technologien zu investieren. Und die SMM ist genau der richtige Ort, um diese komplexen Themen anzugehen", so Schües.

Auch wenn sie nicht bei allen Themen auf einen Nenner kamen, in einem Punkt waren sich die Podiumsteilnehmer einig: Im Wettlauf gegen die Zeit – und gegen den Klimawandel – ist eine Weltleitmesse wie die SMM unverzichtbar.

Gastgeber und HMC-Chef Bernd Aufderheide konnte das nur bestätigen: „Der persönliche Kontakt zwischen der Industrie und anderen Stakeholdern ist durch nichts zu ersetzen. Und nur der intensive Ideenaustausch an den Messeständen und auf den Konferenzen bringt uns dem Ziel der Dekarbonisierung der Schifffahrt näher.“ 

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