VDA Technischer Kongress 2022: Die Zukunft der urbanen Mobilität

Um die Zukunft der Urbanen Mobilität ging es bei der Session Mobility und Transport as a Service. Die Frage war: Eignet sich autonomes Fahren als Mittel für neue Geschäftsmodelle?

Spannendes Panel: Dr. Tobias Miethaner, Leiter der Abteilung Digitale Gesellschaft im BMDV eröffnete mit dem Ist-Stand. | Foto: Christian Lietzmann
Spannendes Panel: Dr. Tobias Miethaner, Leiter der Abteilung Digitale Gesellschaft im BMDV eröffnete mit dem Ist-Stand. | Foto: Christian Lietzmann
Christine Harttmann
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

Die eröffnete Dr. Tobias Miethaner, Leiter der Abteilung Digitale Gesellschaft im BMDV. Er hofft auf ein Ende der Stauzeiten in München und Stuttgart, wo man bis zu 60 Stunden im Jahr sinnlos steht und freut sich, dass es so viele neue Ansätze in Sachen Ridepooling und Logistik gibt, verstärkt auch autonom und längst nicht mehr nur auf ganz kurzen Strecken mit ganz kleinen „Gefäßgrößen“, wie Transportmittel im ÖPNV gern genannt werden. So sei mittlerweile eine autonome Fahrt vom Münchner Flughafen in die City geplant, das hätte Miethaner, nicht so schnell erwartet. Dass man sehr dicke Bretter bohre, merke man im Verordnungsverfahren. Denn das dauert etwas, da es für autonome Verkehre keine Blaupause gibt:

„Wir starten in vielen Detailfragen auf der grünen Wiese“

Wichtig sei auf jeden Fall international zu denken. Miethaner hat auch kein Problem damit, wenn Regelungen, die 2022 in wenigen Wochen in Kraft treten, später abgelöst werden durch internationales Recht. Wichtig ist nur, dass man in Deutschland schnell genug ist und das Grundgerüst schafft – da man so auch den Rahmen vorgibt.

Zum autonomen und CO2-reduzierten Verkehr gehört untrennbar die Datennutzung, wie Miethaner erklärt:

„Nur so können Mobilitätsangebote gemacht werden und Potenziale gehoben werden.“

Wichtig sei hier auch, dass die Verfügbarkeit der staatlichen Daten gestärkt wird: Wetterdaten seien für viele Anwendungen ein großes Thema, sie gibt es wie manch andere kostenlos. Dazu kämen neue Plattformen, dazu müssen aber auch Private verpflichtend Daten bereitstellen – ebenfalls umsonst. Erst die dritte Säule ist der privater Datenhandel: Ein Mobility Dataspace, laut Miethaner eine Art „Kaufhaus für Daten“, was dann auch in Wechselwirkung mit dem ÖPNV interessant wird.

Wie autonomes Fahren im öffentlichen Raum konkret aussehen könnte, zeigte Dr. Frank Keck, Geschäftsführer der ZF Mobility Solutions am ATS (dem utonomen Transportsystem) von ZF. Einst als Flughafenshuttle entwickelt und mittlerweile fit für öffentliches Straßen. Zuerst auf separaten Bahnen als „Segregated Lane Anwendung“. So sei das ATS heute schon einsetz-, und sicherheitstechnisch gut umsetzbar, der nächste Schritt wäre dann der normalen Mischverkehr – auf eigener Spur, um dann einst mitfließen zu können auf normalen Fahrspuren.

Stillgelegte Bahnlinien könnten für autonome Pods umgebaut werden

So könnte man auch die Verbindung auf dem Land verbessern. Man könnte laut Keck stillgelegte Bahnschienen reaktivieren und kostengünstig aufzusetzen, schon heute gibt es mannigfaltige Anwendungen. Das niederländische Unternehmen hat seit über 25 Jahren Erfahrung: Ergab seither 99,7% Systemverfügbarkeit auf über 100 Millionen Kilometern, mit denen (mittlerweile nicht mehr nur auf Airports) über 14 Millionen Personen transportiert wurden. Für die Zukunft plant ZF das Fahrzeug ohne Safety-Steward mit mindestens 40 km/h innerstädtisch samt Servicenetzwerk.

Dafür gibt es auch zwei Reallabore: In einem erschließt man eines neuen Wohngebiet und in Friedrichshafen fährt man über Land. Laut Keck erwartet man verstärkt auch Endkundenanwendungen auf Campussen, Klinikgeländen oder großen Firmenarealen. Rivium Rotterdam will die Pods in den nächsten zwei bis drei Jahren in den Mischverkehr integrieren. Keck schloss mit den Worten:

„Der ÖPNV-Individualverkehr steht definitiv vor tiefgreifenden Veränderung – wir sehen die autonomen Shuttles aber nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu ÖPNV um dort neue Strecken und Anbindungen möglich zu machen.“

Ihm folgte Christoph Ziegenmeyer, Head of Communications bei der VW-Tochter Moia. Er bestätigte, dass ein künftiges Szenario mit weniger Autos viele Chancen bietet und viele Städte und Kommunen genau in diese Richtung denken. Deshalb arbeite man auch immer mit Städten zusammen, denn wie ZF ist es Moia wichtig, als Ergänzung zum ÖPNV gesehen zu werden. Hilfreich sei dabei ein ikonisches Design, das in dem Fall VW Nutzfahrzeuge gestaltet hat:

„Kinder nennen unsere Fahrzeuge die Hummel – mit der gold-schwarzen Farbgebung und dem massiven Aufbau.“

Um den motorisierten städtischen Individualverkehr merklich zu reduzieren, braucht es in Hamburg tausende von Shuttles

Doch Ziegenmeyer erklärt: Obwohl wir das Fahrzeug entwickelt haben, sind wir Softwareunternehmen. Es gibt Apps für Kunden und Fahrer, dahinter liegt das Kernstück von Moia, der Algorithmus, der all das zusammenbringt. Jede Route kann sich in Sekundenbruchteilen ändern wenn eine neue Anfrage reinkommt, ansonsten ist man vom bekannten ÖPNV nicht so weit weg: Man brauche einen Betriebshof samt Lade- und Servicemöglichkeiten, ein Flottenmanagement und einen Fahrerpool. Aktuell experimentiere man mit 250 Fahrzeugen in Hamburg und hat Simulationen laufen, ab wann der Individualverkehr merklich abnimmt. Mit ernüchterndem Ergebnis, wie Ziegenmeyer zugibt:

„Das was von den Stadtvätern gewollt ist, nämlich eine Verkehrswende mit merklich weniger motorisiertem Individualverkehr, funktioniert erst mit vielen tausend Fahrzeugen!“

Konkret in Hamburg: 5.000 Moia-Fahrzeuge! Interessant ist trotzdem jetzt schon, wie dieses System wirkt und den Wechsel anschiebt: Zuletzt stiegt der modale Anteil bei MOIA um drei Porzent, weitere fünf Prozent wuchs er gesamte ÖPNV, der Individualverkehr ging entsprechend um acht Prozent zurück. Wichtig ist das autonome Fahren laut Ziegenmeyer auch für andere Use-Cases, um den ländlichen Raum und den an die Stadt angrenzenden Raum anzubinden, oder auch mal nur für zwei Stunden ein Fahrzeug rausschicken. Er schließt:

„Autonomes Fahren ist für Ridepooling essenziell!“

Das neue AF Gesetz schafft aktuell den Rahmen für Ridepooling. Dessen Weiterentwicklung ist jetzt nötig, da es neue Chancen für die Industrie schafft.

Ihm folgte Dr. Gregor Stock, CEO und Gründer der Cito Transport Technologies , auch eine VW-Tochter, die das Thema Digitalisierung auf die Last-Mile-Delivery überträgt. Man kümmert sich hier vor allem um zeitkritische Transporte. Die Gründung erfolgte übrigens erst im Herbst 2021. Aktuell beschäftige man zwölf Personen, wachse aber kräftig, die große Mission:

„Wir möchten den Transportmarkt neu gestalten.“

Denn der folge laut Stock überholten Prinzipien, was er am Beispiel einer Ersatzteilbestellung aufzeigt: man hat durch Email oder Telefon sowohl einen Effizienzverlust als auch eine Preis- und Qualitätsintransparenz, zumal der Markt der Transporteure extrem fragmentiert sei: Man kontaktiert Firma A, doch die führt den Transport gar nicht durch, sondern vermittelt ihn weiter an Firma B, die dann vermittelt zu C oder gar D und man weiß im Zweifel nicht, wer den Transport durchführt. Der Transportpartner selbst steht sehr weit hinten in der Wertschöpfungskette, wie Stock weiß:

„Viel bleibt in Weitervermittlung hängen, wo nicht wirklich Wertschöpfung passiert, wenn man ehrlich ist.“

Deshalb habe man eine kostenlose Plattform für Kunden und ausführende Transportpartner geschaffen mit den drei Prinzipien: Einfachheit, Transparenz und Fairness. Die nur dann nachhaltig, ist, wenn alle davon profitieren.

Worauf Stock auf die Benutzeroberflächen wechselt: Die zeigen die Ansicht für Kunden und Transportpartner. Alle haben sofort einen Überblick: Vom Routing bis zur Übernahme. Der Kunde hat sofort Kontakt zum Transportpartner. Per Trac and Trace klappt die Abgabe wie bei Übergabe und es gibt Dokumente für beide Seiten, um die Buchhaltung zu vereinfachen. Auch hier spricht Stock den Fachkräftemangel an: „So viele Transportpartner haben wir gar nicht mehr.“

Wichtig: Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes

Den Blick zurück aufs große Ganze lenkte am Ende der Session Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Till Ackermann, Fachbereichsleiter Volkswirtschaft und Business Development im VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen), der sich freute, als einziger Redner des ÖPNV auf dem technischen Kongress zu sein. Die Novelle des PBFG sieht zwei Formen vor: Der (bekannte) Linienbedarfsverkehr muss jeden Mitnehmen – spannend ist aber der neue gebündelte Bedarfsverkehr, auch (teil-)autonom. Ackermann findet:

„Damit sind wir sehr zufrieden, vor allem mit dem autonomen Fahren ist zwischen Level 4 und 5, sozusagen dem autonome fahren auf Level ist 4,5 zwischen streng abgegrenzten Räumen und öffentlichem frei fließendem Verkehr, was exakt den ÖPNV-Bediengebiete entspricht! Und das ist genau das, was wir brauchen!“

Nach dem 8.4.2022 könnten man das umsetzen, samt Automatisierung. Die Vision ist da ähnlich wie bei Moia, doch man habe weiterhin ein hierarchisches Netz: Geteilt, elektrisch und autonom, auch räumlich getrennt: Von er Schnellbahn bis zum autonomen Shuttle. Dabei hilft die Plattform Mobility inside.

Danach zeigt Ackermann eine Karte mit vielen rosafarbenen Flecken, die bedeuten: Hier findet kaum noch ÖPNV statt. Vor allem im Osten Bayerns, in Sachsen, im Saarland und Mecklenburg-Vorpommern. Ackermann kommentiert:

„Einen Pkw haben zu müssen ist nicht die Zukunft, die wir wollen sollen.“

Man wolle auch Menschen im ländlichen Raum halten. Doch dazu bräuchte es eine 60-prozentige Steigerung des Angebotes mit on demand –Verkehren, die trotz aller Fortschritte sehr teuer sei. Probleme seien neben den Technologiekosten, aufwändige Genehmigungs- und Abnahmeschlüssel, ein hoher Betreuungsschlüssel. Erst wenn man all das perspektivisch um die Hälfte reduzieren könne, sähe man hier laut Ackermann Land und einträgliche Geschäftsmodelle.

Hamburg: Ab 2030 nur noch 20% des Aufkommens mit motorisiertem Individualverkehr

Einen konkreten Blick auf Hamburg gab zum Abschluss Dr. Tina Wagner, Abteilungsleiterin Verkehrsentwicklung, Verkehrsamt Hamburg. Auch die Hansestadt kämpft mit Umwelt- und Klimaschutz, Bevölkerungswachstum, Flächenknappheit und Klimaschutz. 25% der CO2-Emissionen entstehen in Hamburg durch Verkehr, das muss deutlich runter und sei nur mit einer echten Mobilitätswende zu erreichen. Ab 2030 sollen in Hamburg 80% der Wege mit dem Umweltverbund zurückgelegt werden (zu Fuß, per Rad oder ÖPNV) und 20% noch mit motorisiertem Individualverkehr. Dazu müsse man den ÖPNV massiv ausbauen. Der Plan: Binnen 5 Minuten Fußweg soll ein ÖPNV-Angebot im 5-Minuten-Takt greifen. Dafür brauche es natürlich on-demand-Verkehre und eine Stadt der kurzen Wege. Im Umland und suburbanen Gebiete sei das laut Wagner schwieriger. Trotzdem sei die Elektrifizierung, Digitalisierung und ITS – Strategie wichtig.

Das Ridepooling sieht sie als Angebot zwischen Individual-und öffentlichem Verkehr und will damit räumliche und zeitliche Lückenschlüsse erreichen. Wichtig ist das Thema Plattform: Mit der einen HVV-Switch-App kann man alles buchen: Bustickets, Moia, Scooter, etc. Mit MOIA sei man aktuell „sehr glücklich“ und man sei sehr gespannt auf die künftige Entwicklung. Der autonome Verkehr sei nicht so einfach und würde sicher erstmal „ruckelig“ bei der Integration in normalen Verkehr. Das Ziel sei, „in zeitnahen Regelbetrieb zu kommen, vor allem für erste und die letzte Meile.“

Was bedeutet das?

Die Session „Mobility und Transport as a Service - Autonomes Fahren als Mittel für neue Geschäftsmodelle?“ gehörte zu den interessantesten und aufschlussreichsten und glich Gesetzgebung mit ist-Stand und Perspektiven ab – aus Anbieter- und Kommunensicht.  

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