VDA-Präsidentin Müller bei Hart aber fair: Populismus ist keine Lösung, sondern Gefahr für die Wirtschaft

In der ARD-Sendung „Hart aber fair“ gibt die Verbandschefin dem AfD-Vertreter entschlossen Kontra: Nationale Abschottung sei keine Lösung, Fachkräftezuwanderung und der EU-Binnenmarkt die einzige Chance für Deutschland, wenn man international den Anschluss nicht verlieren wolle. Man müsse als Land attraktiv bleiben. Zudem wendet sie sich gegen eine Verrohung der Sprache und des Umgangs.

Hielt ein Plädoyer gegen Populismus und Abschottung: Hildegard Müller bei Hart aber fair im Gespräch mit Moderator Louis Klamroth. | Foto: Screenshot
Hielt ein Plädoyer gegen Populismus und Abschottung: Hildegard Müller bei Hart aber fair im Gespräch mit Moderator Louis Klamroth. | Foto: Screenshot
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

In der ARD-Debattensendung „Hart aber fair“ hat sich die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie Hildegard Müller entschlossen gegen Populismus und nationale Abschottung gewandt und sich klar zu einer offenen und demokratischen Gesellschaft, dem EU-Binnenmarkt der Fachkräftezuwanderung bekannt. Die AfD, in der Sendung vertreten durch den Bundestagsabgeordneten und Wirtschaftspolitischen Sprecher Leif-Erik Holm, verspreche Lösungen, die keine seien und die nur Populismus bedienten. 70 Prozent der Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie hingen am Export, drei von vier Fahrzeugen gingen außer Landes. Man sei wichtiger Teil eines internationalen Produktionsnetzwerks. Deutschen Hersteller produzieren außerhalb Deutschlands in 20 Ländern, die Zulieferer in noch weitaus mehr Ländern.

In Anbetracht dieser Tatsache sei es abwegig, sich in nationale Märkte zurückzuziehen. Müller verwies auf das negative Beispiel Japans, wo sich als Folge der jahrelangen Abschottungspolitik ein massiver Wohlstandsverlust und Rückgang der Wirtschaftsleistung zu verzeichnen sei. Für völlig absurd erklärte sie die Forderungen aus der AfD nach einem Austritt aus der EU, dem sogenannten Dexit oder der Wiedereinführung der D-Mark. Mit dem EU-Austritt würde – legt man die Erfahrungen des Brexits zugrunde – das Wirtschaftswachstum in Deutschland um sechs Prozent einbrechen, rechnet die VDA-Chefin vor.

Dexit: Es drohen massive volkswirtschaftliche Verluste

Mit der Zeit würde sich der Effekt noch weiter verstärken, in zehn bis 15 Jahren wären wir dann bei einem volkswirtschaftlichen Verlust von rund zehn Prozent – das entspräche etwa 400 bis 500 Milliarden Euro, wie der VDA vorrechnet. Man prognostiziert in der Folge enorme Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: „Selbst bei einem optimistischen Wachstumsrückgang um fünf Prozent würden wir rund 2,2 Millionen Arbeitsplätzen verlieren“, so die düstere Prognose. Die Währungsunion selbst sei ein Segen für Deutschland, alleine durch den Wegfall von Wechselkursschwankungen.

Im Umkehrschluss beschert der EU-Binnenmarkt nach Berechnungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft seinen Mitgliedsländern einen Wohlfahrtsgewinn von 643 Milliarden Euro pro Jahr. Ohne EU-Binnenmarkt läge das Bruttoinlandsprodukt der EU um 643 Milliarden Euro niedriger. Auf Deutschland allein entfällt davon ein Wohlfahrtsgewinn in Höhe von 132 Milliarden Euro, betont der VDA. Das alles dürfe nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, so Müller.

Autoindustrie auf Fachkräftezuwanderung angewiesen

Auch die Autoindustrie sei dringend auf Fachkräftezuwanderung angewiesen. 70 Prozent der Kleinen und Mittleren Unternehmen beklagten einen Mangel an Fachkräften, insbesondere auch bei den Zulieferern. Hier wirke sich Personalmangel noch vor Materialengpässen mittlerweile als stärkster Faktor für Produktionsbehinderungen aus. Bereits im vergangenen Jahr (2023) ist die Zahl der Beschäftigten mit deutschem Pass um gut 77.000 geschrumpft, wie bislang unveröffentlichte Bundesamt-Daten zeigen. Dass die Zahl der Beschäftigten insgesamt dennoch stieg, lag allein an Menschen ohne deutschen Pass. Zum ersten Mal trugen Zuwandernde aus Nicht-Asyl-Herkunftsländern außerhalb der EU wie Indien oder die Türkei am meisten zum Beschäftigungswachstum bei, argumentiert der Verband. Vor diesem Hintergrund müsse man den Zuwanderungswilligen deutlich aufzeigen, dass man sie auch hier haben wolle. Man stärke damit zugleich die internationale Wettbewerbsfähigkeit, weil überall in der Welt Fachkräfte gefragt seien.

„Deutschland muss als Land attraktiv für ausländische Fachkräfte bleiben“, konterte Müller die Forderungen der AfD nach einer sogenannten „Remigration“.

Zudem dürfe man die Themenfelder nicht vermischen. Es gebe sicher Schwierigkeiten bei der Integration von Zuwanderern, die man lösen könne und müsse. Die Zuwanderung selbst sei aus Sicht der Wirtschaft und der Demographie ohne Alternative.

Gegen die Verrohung der Sprache

Müller wandte sich aber auch gegen die Entmenschlichung der Sprache und eine Verrohung der Debatte, die an düstere Zeiten in Deutschland erinnerten. Ein Rückzug in die Vergangenheit sei nie gut. Müller bezeichnete es als Herzensanliegen, gegen Rassismus und Populismus Stellung zu beziehen. Schließlich lebe nicht nur die Autoindustrie von Offenheit und einem Miteinander der Regionen. Sie forderte die Menschen auf, nicht einer Ideologie nachzulaufen, die ihnen am Ende schadet. Deutschland könne nur in Gemeinschaft mit Europa gegenüber globalen Playern wie den USA und China bestehen und nur so relevant bleiben. Im Übrigen verwehrte sie sich gegen ein Schlechtreden des Standorts durch die AfD, auch wenn man die Sorgen und Ängste mancher Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen müsse. Deutschland sei hoch innovativ, attraktiv und leistungsfähig. Bei aller berechtigter Klage über teilweise überbordende Bürokratie oder langsame politische Entscheidungsprozesse dürfe man nie die Grundfesten der Demokratie und der offenen Gesellschaft in Frage stellen.

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