Mercedes eSprinter: Sterne-Stromer mit mehr Reichweite

Bevor ab 2025 ein ausschließlich elektrischer Sprinter kommt, bessert der Hersteller gründlich nach. Und verpasst dem eSprinter ein modulares Akkupackage mit drei Reichweiten, einen Synchron-Hinterachsmotor mit mehr Effizienz und einen Baukasten mit Varianten. Zudem wird lokal und CO2-neutral produziert.

Mehr drin: LOGISTRA-Redakteur Reichel machte sich einen ersten Eindruck vom neuen eSprinter, dem mehr Effizienz gut zum unveränderten Gesicht stünde. | Foto: Mercedes-Benz Vans
Mehr drin: LOGISTRA-Redakteur Reichel machte sich einen ersten Eindruck vom neuen eSprinter, dem mehr Effizienz gut zum unveränderten Gesicht stünde. | Foto: Mercedes-Benz Vans
Daniela Sawary-Kohnen
(erschienen bei LOGISTRA von Johannes Reichel)

Mercedes-Benz Vans hat Details zum gründlich erneuerten eSprinter bekanntgegeben, der noch vor einer rein elektrischen Plattform ab dem zweiten Halbjahr 2023 zuerst in den USA und dann auch Europa anlaufen soll. Im Kern der Überarbeitung steht der Antriebsstrang mit einem komplett neuen Synchron-Hinterachsmotor sowie einem dreifach modularen Akku-Paket.

Die neue Maschine wird kompakt unter dem Fahrzeugboden positioniert und ermöglicht damit auch die dritte wesentliche Änderung: Anders als den Vorgänger gibt es nicht nur einen 11-Kubikmeter-Kastenwagen auf Basis der Frontantriebsversion, sondern fast alle Varianten des Sprinter vom Fahrgestell, über Pritschen bis zum langen Kasten mit 14 Kubikmetern. Nur der kurze Radstand sowie die L4-Länge mit Superhochdach ist anders als beim Diesel nicht verfügbar.

Zudem rückt die fürs Gewerbe wichtige Option einer Anhängekupplung ins Sortiment, die immerhin bis zu zwei Tonnen Zuglast (Diesel: 2,5 to) ermöglicht, beim 3,5-Tonner mit 5 Tonnen zulässigem Zuggesamtgewicht. Durch die Auflastung bis 4,25 Tonnen beträgt die maximale Nutzlast jetzt auch ordentliche 1.775 Kilogramm. Damit weitet man den Kundenkreis also deutlich über die bisher „spitze Zielgruppe“ der KEP-Dienste hinaus.

Synchron statt Asynchron: Die neue Maschine soll viel sparsamer sein

Die permanenterregte Synchronmaschine (PSM) soll zudem deutlich effizienter laufen als der zuvor unter der Haube verbaute Asynchron-Motor von ZF, der aufgrund hohen Verbrauchs die Reichweite des mit 35 und 47 kWh nutzbarer Akkukapazität erhältlichen Vorgängers stark schmälerte. Jetzt sieht der Hersteller drei Akkugrößen vor, zu 56, 81 und sogar 113 kWh vor. Zusammen mit der besseren Effizienz soll das für Reichweiten von real erzielbaren 170 bis über 400 Kilometer (WLTP) sorgen. Bei einer Versuchsfahrt von Stuttgart zum Münchner Flughafen und zurück erreichte ein eSprinter mit dem großen Package einen Radius von 485 Kilometern, bei einem Verbrauch von 21,9 kWh/100. Das wären 10 kWh/100 km weniger als im Vorgänger. Im WLTP-City (max. 76 km/h) soll die Reichweite mit dem großen Akku sogar bei 500 Kilometer liegen. Weitere Innovation: Man stellt die Zelltechnologie des weiter vom chinesischen Batteriegiganten CATL bezogenen Akkus von Lithium-Ionen auf Lithium-Eisenphosphat (LFP) um.

Damit baut der Akku zwar nicht mehr so kompakt und verfügt über geringere Energiedichte bei etwa gleichem Gewicht von 470, 620 und 850 Kilogramm Gewicht. Allerdings ist im Unterboden des eSprinter genug Platz, sodass man dennoch mehr Reichweite garantieren kann. Zudem ist der LFP-Akku „zyklenstabiler“, sprich langlebiger und robuster im Betrieb, darüber hinaus weniger hitzeempfindlich respektive entflammbar und damit auch weniger kühlungsbedürftig, argumentiert Mercedes-E-Van-Entwicklungschef Benjamin Kähler. Der größte Vorteil liegt aber im Verzicht auf die kritischen Rohstoffe Nickel und Kobalt.

Großes Vertrauen: Bis zu 300.000 Kilometer Garantie

Mindestens 160.000 Kilometer bei acht Jahren und 70 Prozent Kapazität trauen die Schwaben ihrem neuen Energiespeicher zu. Optional gibt es eine 300.000-Kilometer-Garantie, die generell von deutlich höherem Vertrauen zeugt. Apropos Sicherheit: Den Akku kennzeichnen wuchtige seitliche Alu-Träger-Strukturen, die die Crashsicherheit erhöhen sollen. Dennoch wurde das ganze Package aerodynamisch in den Unterboden integriert, sodass auch hier Fortschritte in Sachen Effizienz zu verzeichnen sein sollen. Der Energievorrat wird auch durch ein ausgeklügeltes Thermomanagement inklusive Heizung bei kühlen Temperaturen geschont. Darüber hinaus sorgt eine Wärmepumpe dafür, dass für die Kabinenheizung möglichst wenig Saft aus dem Akku fließt.

Wie beim E-Transit sitzt der Motor jetzt im Heck

Die Batterie liefert ihre Energie an die mit 130 Kilo relativ leichte Synchronmaschine an der Hinterachse. Wie Ford beim Transit bietet man zwei Leistungsstufen zu 100 und 150 kW an, die aber über identisches Drehmoment von 400 Nm verfügen. Drei Fahrmodi Komfort, Eco und Eco+ sind verfügbar, für Flotten lässt sich zudem der kraftvollste Komfort-Modus zugunsten von „Eco“ sperren, sodass sich die Effizienz weiter steigern lässt. Die Rekuperation erfolgt ebenfalls per Lenkradpaddel. Es gibt aber auch eine automatische Energierückgewinnung, die den Verzögerungsgrad an die Verkehrssituation anpasst und sich aus den Daten der Kamera- und Radarsensoren sowie des MBUX-Echtzeit-Navis bedient.

Sollte die Energie dann doch verbraucht sein, legen die Schwaben auch hier zeitgemäß nach: Im AC erhöht man die Ladeleistung auf ordentliche 11 kW, in DC wird wie beim E-Transit mit 115 kW maximal geladen, was den eSprinter sogar langstreckentauglich macht. Die Ladezeit von 10 auf 80 Prozent beträgt beim 56-kWh-Akku dann 28 Minuten, beim 113-kWh-Akku 42 Minuten. Bei 11 kW Wallbox-Laden bekommt man den im KEP-Bereich aus Kosten- und Gewichtsgründen wohl am besten geeigneten 56-kWh-Akku in 5:30 von 0 auf 100 Prozent.

Intelligente Routenplanung für mehr Effizienz

Zur Gesamteffizienz soll auch eine verbesserte Routenplanung beitragen, die ein „intelligentes Lademanagement“ ermöglicht. Über das jetzt verfügbare, mit zunehmender Stilsicherheit per Sprachbefehl steuerbare MBUX-Infotainment-System mit knackscharfem 10,25-Zoll-Touchscreen wird die aktuelle Reichweite unter Berücksichtigung von Verkehrslage, Temperatur oder Topographie angezeigt, ebenso die Restreichweite am Ziel sowie die beste Ladestrategie für schnelle Ankunft. Gimmicks wie Vorklimatisierung  per App oder „Updates over the Air“, die supergenaue What3Words-Navigation, Geofencing oder digitales Fahrtenbuch sind fast schon selbstverständlich. Ebenso natürlich der Zugang zu Ladediensten im Rahmen der Kooperation mit dem Schnelllade-Joint-Venture Ionity sowie dem großen Ladenetzwerk von mit über 300.000 europaweiten Stationen von Digital Charging Solutions über die Mercedes-Ladekarte. Letzterer Punkt dürfte für gewerbliche Kunden sicher weniger sensibel sein wie für Privat. 

Das kann sich also alles fahren, laden und mithin sehen lassen. Womit sich die Frage stellt, weshalb Mercedes nach der sogenannten „Electric Versatiliy Platform“ gleich noch die komplett neue E-Plattform VAN.EA (Electric Architecture) in Aussicht stellt. Hintergrund dürfte auch die Ansage sein, dass man ab 2025 nur noch vollelektrische Fahrzeuge neu vorstellen will. Damit trägt man auch der Ambition 2039 Rechnung, die den ganzen Konzern bis zu diesem Zeitpunkt auf Klimaneutralität trimmen soll. Das geht nur mit „electric only“, sind die Schwaben überzeugt.

Bereits zur Kooperation: Rivian machte eine Rückzieher

Und sie wären dabei auch zu ungewöhnlichen Kooperationen bereit: So sondierte man kurz mit dem US-E-Nutzfahrzeug-Spezialisten Rivian, ob man in einer gemeinsamen Produktion in Mitteleuropa auf höhere Stückzahlen kommen hätten können. Wenig später war das Thema aber schon wieder vom Tisch, die Amerikaner machten wohl einen Rückzieher – von „Repriosierung“ ist vornehm die Rede. Was bleibt, ist eine neue und dezidierte Next-Generation-E-Van-Fertigung im polnischen MB-Cars-Standort Jawor. Hier sollen zukünftig die großen Vans (geschlossenes Baumuster/Kastenwagen) auf VAN.EA-Basis produziert werden. Durch die konsequente Ausrichtung auf die Fertigung rein-elektrischer Vans verspricht man sich und eine deutliche Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Der etablierte Standort ermögliche der Van-Sparte eine Optimierung der Kosten und der Lieferkette sowie eine energieeffiziente Produktion von Transportern der neuen Generation, so die Ansage aus Stuttgart, die jetzt nicht unbedingt eine Stärkung der Standort Ludwigsfelde und Düsseldorf ist.

Feinstaubfilter und Solardach: Erst im übernächsten eSprinter

Feststeht, dass man neue Technologien wie den bei E-Fahrzeugen speziell sinnvollen aktiven Feinstaubfilter für Reifen- und Bremsabrieb oder mobile Solarpanele, die man im Konzeptfahrzeug Sustaineer erprobt, erst in dieser „übernächsten“ Generation in die Skalierung bringen will. Der Kunde soll in jedem Fall einen "typischen Mercedes-Van" erhalten, nur halt bald ausschließlich elektrisch. Fest glaubt man an "Kipppunkte", auch wenn der Marktanteil der Stromer unter den Sprintern bis dato noch marginal ist. Ab einer gewissen Marktdurchdringung sei die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten – und schon klimatechnisch alternativlos, sagt ein Nachhaltigkeitsspezialist von MB Vans.

Bis es soweit ist, wird noch viel Wasser den Neckar herunterfließen. Überhaupt: Es dürfte ein fließender Übergang von der Multiantriebsplattform des aktuellen zur reinen EV-Plattform des neuen Sprinter werden. Ab Mitte 2023 geht es erst einmal in den USA los mit der Produktion des langen und hohen 14-Kubik-eSprinter, aufgrund der weiteren Strecken mit dem großen Akkupack und dann zwingend als 4,25-Tonner. Dieses „Topmodell“ bildet dann aber auch für Europa den Auftakt, bevor man sich nach unten durch das Programm hangelt und auch die Derivate wie Fahrgestell und Pritsche auffährt. Am US-Markt sieht man zudem für einen Anbieter von „Premium-Vans“ größere preisliche Akzeptanz als etwa in China, zudem ist man hier noch nicht präsent mit dem aktuellen eSprinter.

Nachhaltige und lokale Produktion als Verkaufsargument: Komplette Kette

Größten Wert legt man auch auf die Nachhaltigkeit im gesamten Prozess: So soll die Fertigung erstens lokal in Düsseldorf und Ludwigsfelde sowie in Charleston/USA erfolgen und zweitens CO2-neutral sein. 2023 will man die Logistik in den deutschen Werken CO2-neutral bekommen. Neben den üblichen drei „R“, Reduce, Reuse, Recycle stellt man mit „Repair“ ein viertes und repariert seit kurzem auch die Akkus von eVito und eSprintern im Werk. Bis hin zur eigenen Stromerzeugung, etwa mittels Windpark an der Teststrecke in Papenburg oder Offshore in der Ostsee sowie Solarpanelen auf allen Werksdächern und der forcierten Kreislaufwirtschaft spielt der Konzern den Nachhaltigkeitsgedanken durch.

Und sieht hierin auch ein Distinktionsmerkmal gegenüber preislich möglicherweise günstigeren Anbietern aus Fernost. Speziell chinesische Hersteller wie Maxus oder BYD drängen auf den europäischen Markt, auch von der Geely-Tochter Farizon ist ein „Supervan“ avisiert, die andere Geely-Marke LEVC ist bereits mit dem VN5 in der Kompaktklasse aktiv, mit einem Hybridantrieb allerdings und wohl nicht mehr lange. In Summe sieht man den „Premium-Anspruch“ des Herstellers jedenfalls künftig nicht nur durch das Produkt, sondern eben auch durch das Gesamtpaket aus Service, Nachhaltigkeit und Regionalität untermauert. Und das müssen die Chinesen den Schwaben erstmal nachmachen.

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