IVOTY-Fahrbericht: Renault setzt den neuen Master richtig unter Strom 

Von Grund auf neu entwickelt, entfaltet der Master vor allem als Elektroversion seinen ganzen Charme: mit großer Reichweite, guter Effizienz, tollem Handling und hoher Qualität. Dabei muss der Stromer keine Abstriche gegenüber dem Diesel machen. Den gibt es natürlich auch. Erste Eindrücke beim „International Van of the Year

Ein Quantensprung: Technisch und optisch legt der Master stark nach und wirkt fast avantgardistisch und skulptural mit seiner steilen Front und den C-förmigen LED-Leuchten. | Foto: Renault
Ein Quantensprung: Technisch und optisch legt der Master stark nach und wirkt fast avantgardistisch und skulptural mit seiner steilen Front und den C-förmigen LED-Leuchten. | Foto: Renault
Christine Harttmann
(erschienen bei LOGISTRA von Johannes Reichel)

Keine Kompromisse zum Diesel: Schon mal gehört, aber nicht von Renault, sondern von Ford, bei der Präsentation des E-Transit. Obwohl die Franzosen mit dem Kangoo Z.E. vor über zehn Jahren ein Pionier waren in Sachen elektrifizierter Transporter, kamen ihnen zwischenzeitlich Esprit und Speed abhanden. Der ­Renault Master wurde zwar auf „elek­trisch“ umgestrickt, überzeugte aber mit flügellahmem 57-kW-Motor und 33 kWh-Akku nicht, trotz guter Effizienz für viele Kunden zu wenig. Auch der 2021 nachgeschobene 52-kW-Speicher mit 176 Kilometer Reichweite kam nie auf Stückzahlen, obwohl es ihn auch als Fahrgestell und diversen Varianten gab, zuletzt statt 3,1 bis 3,5 Tonnen. Jetzt soll alles besser werden, die Pioniermarke gibt wieder Strom.

Fokus der Entwicklung beim neuen Master lag speziell auf der Elektroversion, auch wenn der Diesel weiter die Basis bildet – und später eine Hydrogen-Variante Kundschaft mit höheren Reichweiten- und Tankzeitansprüchen bedient. Der BEV dürfte dem Fuel Cell das Leben schwer machen. Schließlich verfügt er über ein deutlich standhafteres Package aus wahlweise kleinem 40-kWh-Akku mit 180 km WLTP-Radius oder 87-kWh-Speicher mit bis zu 410 Kilometer Reichweite, was einem Verbrauch von für die Gattung sensationellen 21 kWh/100 km entspräche. Abwarten.

Dazu kommt ein standardmäßiger DC-Lader mit bis zu 130 kW Leistung (229 km Reichweite in 30 Min.) und für viele schon ausreichenden 22-kW-AC-Lader (10-100 % 4 Std.). Das war zuvor die maximale DC-Ladeleistung, bei lahmen 3,7 kW AC. Der Slot sitzt leider nicht wie beim Kangoo im Rhombus, sondern im Beifahrerkotflügel.

Der Van als Pufferspeicher

Für externe Verbraucher steht V2L-Option (Vehicle-to-Load) zur Verfügung, stark genug für Werkzeuge oder auch Kühlaggregate. Auch V2G-fähig ist der neue Master, sprich, er taugt als bidirektionaler Pufferspeicher im Netz. Die meisten Anwendungen dürfte der Stromer damit abdecken. Wenn nicht, stehen vier Leistungsstufen des dem Vernehmen nach 1,5 l/100 km sparsameren 2,0-Liter-Diesel bereit (105, 130, 150, 170 PS), mit Sechsgang-Handschalter oder optional 9-Gang-Automatik.

Als Viertonner sehr nutzlaststark

Keine Kompromisse ist auch beim Frachten das Motto: Dank einer 4,0-Tonnen-Version bis zu 1,6 Tonnen Nutzlast und bis 2,5 Tonnen Anhängelast. Beim Ladevolumen und der Beladbarkeit sind Diesel und Stromer ohnehin identisch. Der tatsächlich um zehn Zentimeter längere Laderaum des Front- und in den Langversionen L3 und L4 wahlweise Hecktrieblers ist beim BEV wie beim Diesel über eine weiter niedrige Ladekante zugänglich, bietet eine 40 Millimeter breitere Schiebetür mit planem Abschluss der Trennwand zur B-Säule.

Der kürzere Radstand mit längerem Überhang verkleinert den zuvor üppigen Wendekreis um 1,5 Meter. Die H2-Version schafft innen 1,86 Meter Höhe. 20 Umbauten sind bereits ab Werk verfügbar und weiter individualisierbar. Beim klassischen Kastenwagen gefällt der komplett neue Blechaufbau mit geräumigen 11 bis 22 Kubik. Zahlreiche Blechpressteile und hochfeste Stähle ergeben eine viel höhere Steifigkeit. Der Van soll dabei maximal 50 Kilo schwerer sein und fällt mit schmalen Säulen auf, die Platz schaffen für Fracht und Zugänge.

Viel kompakteres Fahrgefühl

Die hohe Karosseriesteifigkeit kommt dem Fahrgefühl zugute, das im direkten Vergleich zum Vorgänger viel kompakter ist. Wie aus einem Guss lässt sich der E-Master nun manövrieren, da knistert und klappert, da verwindet nichts mehr, der Abrollkomfort zum eher „dünnhäutigen“ Vorgänger ist auf einem anderen Level. Wobei auch der tiefe Schwerpunkt der größeren Batterie, die mit 87 kWh den Platz zwischen den Achsen füllt, zur satten Straßenlage beiträgt. Die Lenkung ist nicht mehr so diffus, viel präziser, die zuvor schluffigen Bremsen packen akkurat zu.

Wenn man sie denn braucht: Denn der sogenannte „B“-Modus sorgt für ordentliche Rekuperation, die Beibremsen meist erübrigt – außer auf der „letzten Meile“ bis zum Stillstand. Ansonsten verzichtet der Master auf einen „Kriechmodus“ und zieht erst los, wenn man das Strompedal tritt.

Flotte Performance

Und wie: Ansatzlos zieht der Elektro-Meister los, getrieben vom Renault-eigenen Synchronmotor (96 oder 105 kW, 300 Nm), ohne die Traktion an den Vorderrädern zu verlieren und kommt zackig auf Marschtempo, wenn es sein muss bis 120 km/h, wo vorher bei 100 km/h Schluss war. Dass er auch vor längeren Distanzen nicht zurückschreckt, hat der neue Master auch der stark verbesserten Aerodynamik zu verdanken. Lag darauf beim mittlerweile 13 Jahre alten Vorgänger noch kein größerer Fokus, zeigt sich die Karosserie nun nach dem Vorbild des VW Crafter mit deutlicher Taillierung am Heck, sowie am Dach und an den Flanken.

Auch die Seitenteile sind im Dachbereich modelliert, was zusammen mit der effizienteren Dämmung auch zur viel leiseren Akustik beiträgt. Lufteinlässe an den Stoßfängern, die kurze Front und eine geneigte Windschutzscheibe zeugen von viel Feinarbeit an Scale-Modellen und im Windkanal der Luftfahrt­industrie. 20 Prozent sparsamer soll der BEV in Summe sein.

Deutlich hochwertiger

Viel Feinschliff gab es auch im Interieur. Das wirkt mit dem dunklen Himmel, dunklen und wertig strukturierten Kunststoffen, bequemen und modisch mit Strukturstoffen bezogenen Sitzen viel behaglicher. Es gefällt ansonsten mit einem in Höhe und Reichweite verstellbaren und griffigen Konzernlenkrad, serienmäßigen Digitalinstrumenten, einem viel schärferen und ebenfalls standardmäßigen 10-Zoll-Infotainment auf Android-Automotive-OS12-Basis, inklusive Anschluss ans Google-Universum aus Karten, Sprachassistenz und zahllosen Apps wie den Vivaldi-Browser, EasyPark-Parkplatzbuchung oder Waze-Navigation sowie kabelloser Smartphone-Anbindung. Selbstverständlich gibt es auch eine App für die Remote-Steuerung von Fahrzeugfunktionen wie Lokalisation, Fenster und Türen oder Serviceplan, bei den EV-Versionen ist besonders auch das Lademanagement ­interessant.

Hurra, es gibt noch mechanischer Schalter!

Die Digitaleinheit wird gut ergänzt durch mechanische Taster und Regler, etwa für Lüftung, Klima oder Assistenz. Ergonomisch ist auch das zum Fahrer angewinkelte Bedienmodul der Klimaregelung, die breite, wahlweise induktive Ablage fürs Smartphone nebst USB-Anschlüssen, das Schubhandschuhfach, der Klapp/Drehtisch auf der Beifahrerbank oder die großen Türtaschen. Weniger gut dagegen, dass es auch im BEV eine mechanische Handbremse gibt und die obsolete Schaltkonsole den Beinraum einschränkt. Dabei lassen sich die wenigen Fahrmodi (Vorwärts, Rückwärts, Neutral, Reku) mit dem etwas weit abstehenden, kantig-dürren dritten Lenkstockhebel einlegen.

Fahrerassistenz auf Level 2 und zeitgemäß

Klar, dass der neue Master auch bei der Fahrerassistenz auf aktuellem Niveau fährt, sprich mit 20 einzelnen Assistenzfunktionen wahlweise automatisiertes Fahren auf Level 2 beherrscht, dank adaptivem Abstands- und Spurassistent, intelligentem Tempomat mit Verkehrszeichenerkennung, Tot-Winkel-Warner und Rückfahrkamera.

Die Idee der Renault-Entwickler war schlicht, wie LCV-Expertin Helena Carvalho erklärt: Der Kunde wählt die „Energieform“ und erhält die gleichen, praktischen Fahrzeugeigenschaften. Kompromisslos eben. Nur beim Preis, da wird man nach wie vor Kompromisse machen müssen. Aber das spart man ja dann im Betrieb rein, dank geringerer Energie- und Wartungskosten. Und erspart der Umwelt doppelt Emissionen: An Abgas und Lärm. Keine Frage: Der wahre Meister ist der Elektro-Master.

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