Interview: „Pipeline-Erdgas aus Russland wird in Deutschland nicht für die Herstellung von LNG verwendet“

Christian Sulser, Vorstand Vertrieb & Marketing der Iveco Magirus AG, zu den aktuellen Erdgaspreisen und warum die Vorteile von LNG-Lkw nach wie vor Bestand haben.

Christian Sulser ist Vorstand Vertrieb & Marketing bei der Iveco Magirus AG. | Bild: Iveco
Christian Sulser ist Vorstand Vertrieb & Marketing bei der Iveco Magirus AG. | Bild: Iveco
Christine Harttmann
(erschienen bei PROFI-Werkstatt von Tobias Schweikl)

Herr Sulser, was rät Iveco Unternehmern, die von den hohen Erdgas-Preisen aktuell betroffen sind? Inwiefern kann der Hersteller hier unterstützen?

Viele Unternehmen haben langfristige Abnahmeverträge mit Tankstellenbetreibern und somit eine gewisse Liefer- und Preissicherheit. Das heißt, sie müssen nicht den aktuell an der Zapfsäule aufgerufenen Preis bezahlen. Über IVECO Capital bieten wir unseren LNG Kunden in Deutschland in Härtefallen an, ihre Miet-Kauf-, Leasing- beziehungsweise Darlehens-Raten zu reduzieren.

Zudem stehen wir in ständigem Kontakt mit Politikern, Verbänden und Tankstellenbetreibern und klären auf, dass das heute schon mit Nachhaltigkeitseffekten behaftetet fossile LNG und das künftige grüne Bio-LNG einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs leistet und somit von der Politik die richtige Aufmerksamkeit bekommen muss.

Warum gibt es diese enormen Sprünge bei fossilem LNG an der Zapfsäule?

Die Preismodelle des fossilen LNG beziehen sich grundsätzlich auf einen Bemessungszeitraum von drei bis vier Wochen. Basis sind dabei Durchschnittswerte der Spotmarktpreise (TTF – Title Transfer Facility). Der LNG-Kilopreis setzt sich an der Zapfsäule aus z.B. TTF (Spotmarktpreis), Gamma-Preis (Aufwandspauschale Tankstellenbetreiber), Energiesteuer und CO2-Steuer zusammen. Der Spotmarktpreis ist somit hier der Preistreiber.

Mit zunehmender Verfügbarkeit von Biomethan, steht künftig ein vom Spotmarktpreis unabhängiges Produkt zur Verfügung. Der Bio-LNG Kilopreis setzt sich an der Zapfsäule aus lokalen Produktionskosten, Gamma-Preis (Aufwandspauschale Tankstellenbetreiber) und Energiesteuer zusammen. Abzüglich eines Quotenanteils für die Inverkehrbringung des sauberen Gases. Die CO2-Steuer entfällt dabei ganz.

Wie schaut es mit der LNG-Versorgungssicherheit bei ausbleibendem russischem Erdgas aus?

Fossiles LNG ist ein importiertes Produkt, dass auf dem Seeweg zu verschiedenen LNG-Terminals in Europa geliefert wird. Dieses LNG kann entweder flüssig mit entsprechenden Tankaufliegern zur Tankstelle gebracht werden, oder es wird regasifiziert und in das Erdgasnetz eingespeist. Pipeline-Erdgas, wie es aus Russland zu uns kommt wird in Deutschland nicht für die Herstellung von LNG verwendet.

Was macht diese Lage aktuell in Bezug auf die Nachfrage nach Erdgas-Modellen? Läuft die Produktion entsprechender Lkw unvermittelt weiter? Wurden bereits Aufträge wieder storniert oder umgewandelt zu Diesel-Lkw?

Es handelt sich hier um eine einmalige bisher niemals dagewesene Situation. Wir gehen stark davon aus, dass sich das Niveau des Gaspreises in den nächsten Monaten wieder unter dem Dieselpreis einpendeln wird. Wie bereits erwähnt, wird mit zunehmender Verfügbarkeit von Biomethan künftig auch ein vom fossilen Gas und der damit der verbundenen Preisgestaltung unabhängiges Produkt zur Verfügung stehen. Damit lassen sich dann nicht nur Kosten sparen, sondern auch der CO2 -Verbrauch drastisch reduzieren.

Wir verzeichnen weiterhin einen hohen Anteil an Gasfahrzeugen am Gesamtumsatz bei schweren Nutzfahrzeugen. Eine gewisse Verunsicherung gibt es eher mit Blick auf die aktuellen Lieferzeiten aufgrund von Rohstoffengpässen und der Halbleitersituation. Kunden fragen sich, wie lange sie noch von einer Mautbefreiung profitieren, wenn das Fahrzeug ausgeliefert wird. Der LNG Preis kann bis dahin schon wieder ein ganz anderer sein.

Aktuell dürften LNG-Fahrzeuge kaum wirtschaftlich eingesetzt werden können – wie lautet ihre mittel- und langfristige Prognose zur Wettbewerbsfähigkeit dieser Antriebsart?

Der Gasantrieb mit seinem Potenzial für Biomethan ist keine bloße Brücke. Bio-LNG Ist heute der einzige skalierbare regenerative Kraftstoff. Unsere Kunden können damit schon heute nahezu CO2-neutral fahren und mit dem IVECO S-WAY LNG Reichweiten von bis zu 1.600 Kilometern und mehr. Wir können es uns aus ökologischer Sicht nicht erlauben, darauf zu warten, bis BEV und FCEV in entsprechenden Stückzahlen vorhanden sind und vor allem die dafür nötige Infrastruktur verfügbar ist.

In Zukunft sehen wir den Marktanteil von schweren Nutzfahrzeugen mit Gasantrieb bis 2030 bei zehn bis 15 Prozent. Ein großer Teil des übrigen Marktes lässt sich perspektivisch mit BEV und FCEV darstellen, auch wenn uns der Diesel ein wenig erhalten bleiben wird. Er wird es aber in dieser Übergangsphase künftig sicherlich bei entsprechender CO2-Besteuerung und möglicher schrittweisen Rücknahme des Dieselprivilegs immer schwerer haben.

Gibt es künftig denn genügend Bio-LNG und woraus wird es produziert?

Laut der Europäischen Kommission ist genügend sogenannter Biomethan Feedstock verfügbar. In einer Pressemitteilung vom 8. März 2022 heißt es, dass 350 TWh bis 2030, was ungefähr 35 Mrd. m³ entspricht, zur Verfügung stehen. Als Teil des 35 Mrd. m³-Ziels will die Kommission die Biomethanmenge in der EU bereits im Jahr 2022 verdoppeln. Als Rohstoffe für die Biomethangewinnung stehen dabei Roh- und Reststoffe wie Gülle, Lebensmittelabfälle, Industrieabwässer und landwirtschaftliche Reststoffe wie Stroh zur Verfügung.

Die Produktion von Bio-LNG ist weit weniger aufwendig als die Produktion grüner Alternativen für Dieselkraftstoffe. Bio-LNG entsteht durch die Verflüssigung von Biomethan und lässt sich als sogenannter „fortschrittlicher Biokraftstoff“ vollständig aus den bereits genannten Reststoffen gewinnen.

Eine zweite Methode ist die Erzeugung von synthetischem Gas mit der Power-to-Gas (Strom-zu-Gas)-Technologie. Dabei wird überschüssiger Ökostrom genutzt, Wasser mittels Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen. Der Wasserstoff lässt sich über eine Methanisierung in synthetisches Methan umwandeln und dieses wiederum über eine Verflüssigungsanlage in grünes, strombasiertes LNG.

In Deutschland haben bereits mehrere Tankstellenbetreiber angekündigt, zeitnah Bio-LNG-Verflüssigungsanlagen zu errichten, um ihre und unsere Kunden flächendeckend mit Bio-LNG zu versorgen. Damit wird genug Bio-LNG vorhanden sein, um in kurzer Frist die Nachfrage nicht nur zu decken, sondern auch zusätzliche Potenziale zu erschließen.

Wie sauber sind die Lkw mit Bio-LNG unterwegs?

Bereits fossiles LNG ist eine saubere und zukunftsfähige Alternative zum Diesel. Der emissionsfreie Straßengüterverkehr ist schon heute Wirklichkeit, denn mit Bio-LNG sind wir bereits auf dem richtigen Weg. Bio-LNG ist eine zu 100 Prozent erneuerbare Energiequelle. Die fortschrittliche Technologie trägt mit deutlich geringeren Partikel-Emissionen und einer wesentlichen Geräuschreduktion zu einer Verbesserung der Luft- und Lebensqualität bei. Bio-LNG gilt als umweltfreundlichster Kraftstoff für Verbrennungsmotoren und reduziert die CO2-Emissionen um bis zu 95 Prozent bei einer Well-to-wheel-Betrachtung.

Wie viele LNG-Tankstellen gibt es aktuell in Deutschland und an wie vielen lässt sich bereits heute Bio-LNG tanken?

Stand heute gibt es rund 120 öffentliche LNG-Tankstellen in Deutschland. Der Bio-LNG-Anteil ist an den Tankstellen noch relativ gering. Sehr viele Tankstellenbetreiber starten aktuell jedoch erste Testprojekte. Hier informieren jedoch die Tankstellenbetreiber gerne.

Stichwort Kreislaufwirtschaft, ist das auch bei LNG eine Option?

Klar, warum nicht, wenn die Voraussetzungen vorhanden sind. Eine bekannte deutsche Bio-Supermarktkette macht es gerade vor. Sie investiert bewusst in IVECO S-WAY LNG Fahrzeuge. Das benötigte Bio-LNG stellt die Supermarktkette selbst her. Das eigene Hofgut mit genügend vorhandener Gülle samt Biogasanlage und Methanverflüssiger macht eine Kreislaufwirtschaft mit einer CO2- neutralen Belieferung der Märkte möglich.

Lassen sich IVECO-Lkw einfach so mit Bio-LNG betreiben?

Die im IVECO S-Way NP eingesetzten Cursor-9- und Cursor-13-Gas-Motoren der Emissionsstufe Euro VI Step E lassen sich vollumfänglich mit zertifiziertem Bio-LNG betreiben. Technische Umrüstungen oder spezielle Anpassungen sind nicht erforderlich, und es gelten unverändert die Garantiebedingungen und gleichen Wartungsintervalle wie bei Einsatz von fossilem LNG. Zudem können künftig auch strombasierte Kraftstoffe in diesen Fahrzeugen eingesetzt werden.

Der Kunde hat die absolute Wahlfreiheit der Kraftstoffherkünfte, kann bei jedem Tankvorgang neu entscheiden, ob er grünen Kraftstoff mit der höheren CO2-Einsparung oder weiterhin fossilen Kraftstoff – der ebenfalls zu einer CO2-Reduktion gegenüber Dieselfahrzeugen beiträgt – tankt. Und das zu jeweils attraktiven Kosten und ohne die Notwendigkeit einer technischen Anpassung. Außerdem wird die CO2-Einsparung so zu einer zusätzlichen „Währung“ für Speditionen und Befrachter. Kurz: grün und mit sehr guter TCO!

Welches LNG-Fahrzeug ist derzeit der IVECO Bestseller?

Der Bestseller ist hier ganz klar die IVECO S-WAY LNG 4x2 Standard Sattelzugmaschine mit einem Cursor 13 Gas-Ottomotor mit 460 PS der Emissionsstufe Euro VI Step E. In den zwei 540 Litern großen Tanks, finden mindestens 390 Kilogramm LNG oder Bio-LNG Platz. Damit sind fernverkehrstaugliche Reichweiten von bis zu 1.600 Kilometern je nach Einsatzzweck und Streckenprofil möglich.

Wir bauen jedoch unser Portfolio an gasbetriebenen umweltfreundlichen Nutzfahrzeugen ständig aus, deshalb sind inzwischen auch schon viele S-WAY- und X-WAY-Fahrgestelle mit den unterschiedlichsten Aufbauten und Fahrerhausmodellen als LNG oder CNG Variante erhältlich.

Wie lange gilt die Mautbefreiung für LNG-Lkw in Deutschland und wie geht es danach weiter?

Die Mautbefreiung für LNG und CNG Lkw gilt weiterhin bis Ende 2023. Es zeichnet sich ab, dass diese Fahrzeuge auch darüber hinaus einen Mautvorteil im Vergleich zum Diesel haben werden.

Abschließend noch eine Frage zur Motorentechnik. Aktuell sind ja Fahrzeuge mit High Pressure Direct Injection (HPDI) und mit Spark Ignition (SI) auf dem Markt. Auf welches System setzt IVECO und warum?

IVECO setzt bei seinen Gas-Ottomotoren auf das SI-System und somit auf das Ottoprinzip. Die Vorteile im Vergleich mit dem HPDI-System, das nur ein Marktbegleiter einsetzt, liegen dabei klar auf der Hand: Anstatt an der Tankstelle LNG, Diesel und AdBlue tanken zu müssen, ist bei einem IVECO SI-Motor nur LNG nötig. Zudem ist der Gas-Otto-Motor im Vergleich zum Diesel um bis zu 50 Prozent leiser und eignet sich auch perfekt für den Einsatz in verkehrsberuhigten Zonen und für Nachtlieferungen.

Ein weiterer Vorteil der monovalenten Gasfahrzeuge von IVECO ist die freie Fahrt in Umweltzonen, denn für sie gilt beispielsweise das Nachtfahrverbot auf der Inntal Autobahn nicht. Gasfahrzeuge mit dem bivalenten HPDI-Antrieb müssen sich natürlich an das Fahrverbot halten. IVECO nutzt LNG-Tanks mit Economizer, mithilfe dessen es möglich ist, den Gasdruck zu nutzen. Ein stabiler Arbeitsdruck von 9,5 Bar und eine stabile Temperatur im Tankinneren ersparen häufig ein Entlüften des Tanks vor dem Betanken. Im Vergleich dazu ist bei HPDI ein LNG-Tank mit Kryogen-Pumpe nötig. Die LNG-Gasphase kann nicht vom Motor genutzt werden, zudem ist vor dem Betanken normalerweise eine Entlüftung erforderlich.

Aber der wichtigste Vorteil für einen Fernverkehr-Lkw ist wohl die Reichweite. An unserem IVECO S-WAY NP sind zwei 540-Liter-Tanks verbaut, in die mindestens 390 Kilogramm LNG oder Bio-LNG passen. Damit ist eine von vielen Speditionen bestätigte Reichweite von bis zu 1.600 Kilometer möglich. Da ein HPDI-System wie bereits erwähnt Diesel, AdBlue und LNG sowie die entsprechend aufwendige Abgasnachbehandlung eines Dieselmotors benötigt und der Anbauplatz für Tanks am Lkw beschränkt ist, ist die Reichweite mit dieser Technologie laut Aussagen von Fahrern an der Tankstelle nur in etwa halb so groß. IVECO investiert seit mehr als 20 Jahren in alternative Antriebe und in das SI-System. 2020 waren wir in Deutschland nicht umsonst mit über 70 Prozent Marktanteil Marktführer bei gasbetriebenen Sattelzugmaschinen.

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