Großbritannien: Der Warentransport über den Ärmelkanal stockt
Das zum 1. Januar 2021 in Kraft getretene Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Vereinigten Königreich (UK) stellt die Logistikdienstleister weiter vor große Herausforderungen. Noch immer hakt es häufig an den Zollvorschriften. Wie der DSLV Bundesverband Spedition und Logistik feststellt, sind bis zu 80 Prozent der Sendungen im Warenverkehr zwischen UK und dem europäischen Festland derzeit fehlerhaft oder gar nicht deklariert.
„Viele Unternehmen haben bislang nur im EU-Binnenmarkt Handel betrieben. Den meisten vor allem britischen Logistikkunden scheint nach wie vor nicht bewusst, dass die Regelungen im Verkehr mit dem europäischen Kontinent jetzt nicht mehr denen des Binnenmarkts entsprechen“, fasst Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des DSLV, die Erfahrungen der Unternehmen zusammen.
„Während sich Speditionen und Zollagenten in den vergangenen Jahren kontinuierlich auf die Folgen des Brexit vorbereitet haben, beginnen viele ihrer Kunden aus der verladenden Wirtschaft erst jetzt, ihre Prozesse anzupassen und sich mit Export- und Importanmeldungen und den dafür erforderlichen Verfahren und Dokumenten auseinanderzusetzen. Gleichzeitig fehlt vielfach das Verständnis dafür, dass der zusätzliche administrative Aufwand der Speditionen zu einer spürbaren Erhöhung der Logistikkosten führen kann.“
Zwischen Abschluss des fast 1.500 Seiten umfassenden Abkommens und Inkrafttreten sei, so teilt der DSLV mit, zwar nur eine Woche gelegen. Grundlegend neu seien die von der EU und dem Vereinigten Königreich erst am 24. Dezember 2020 im Rahmen des gemeinsamen Handelsabkommens beschlossenen Zollregeln allerdings nicht gewesen. Der deutsche Zoll stellt seit Jahren Informationen zum Brexit online zur Verfügung. Huster:
„Speditionshäuser sind mit internationalen Handelsabkommen und der Drittlandsabfertigung von Waren überwiegend professionell vertraut.“
So sollte klar sein, dass beim Import von Waren aus dem Vereinigten Königreich jetzt 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer fällig werden und nur Waren mit UK-Ursprungszeugnis zollfrei in die EU eingeführt werden können. Für Waren aus Asien wie Textilien und Elektroteile, die Deutschland über UK erreichen, fallen hierzulande Zölle an, auch wenn eine Verzollung zuvor bereits in UK erfolgte.
„Für Fachspeditionen ist das Zollgeschäft kein Neuland, für eine Vielzahl von Logistikkunden offensichtlich schon“, sagt Huster und ergänzt: „Durch unerledigte Versandverfahren kann das Haftungsrisiko für die Speditionen erheblich steigen.“
Die derzeit massiven Probleme im Warenverkehr mit UK haben auch Auswirkungen auf die Systemnetze der Logistik in ganz Europa. So können Transporte mit Sammelgut von den Zollverwaltungen nicht abgefertigt werden, wenn einzelne Sendungen falsch deklariert sind oder Ursprungszeugnisse und Veterinärbescheinigungen fehlen. Lkw-Touren nach Großbritannien und zurück dauern jetzt laut dem DSLV bis zu fünf statt drei Tage. Laderaumkapazitäten werden dadurch unnötig lange gebunden. Die aktuelle Kategorisierung des Vereinigten Königreichs als Virusvarianz-Gebiet verschärft die Abfertigungssituation zusätzlich, weil auch Beschäftigte des Güterverkehrssektors vor der Ausreise aus UK einen negativen Covid-19-Test vorweisen müssen.
Es sei nicht zu erwarten ist, dass die Kenntnisdefizite zum Zollrecht und zum UK Border Operating Model kurzfristig behoben werden. Der Warenhandel und -transport über den Ärmelkanal könne also nur noch störungsfrei aufrecht gehalten werden, so jedenfalls sieht es der DSLV, wenn die EU und das Vereinigte Königreich das Handelsabkommen bis auf weiteres aussetzen.
„Als Dienstleister werden Speditionen ihre Kunden aus Industrie und Handel weiterhin unterstützen, doch können derart gravierende Produktivitätsverluste wirtschaftlich nicht ohne weiteres aufgefangen werden. Die Logistik kann ihre Leistungszusagen unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr einhalten“, warnt Huster. „Es ist nachvollziehbar, dass die ersten Speditionshäuser ihre Geschäftsaktivitäten jetzt sorgfältig überprüfen und UK-Verkehre sogar aus ihrem Angebot streichen.“
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