European Mobility Atlas: Die Wende ist die Chance der Krise
Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung hat ihren European Mobility Atlas für 2020 vorgestellt und zieht darin eine in der Tendenz positive Bilanz über den Wandel hin zu nachhaltiger Mobilität. Der Transportsektor stehe in der EU noch immer für 30 Prozent der CO2-Emissionen, konstatieren die Autoren um Martin Keim von der Böll-Stiftung sowie Philipp Cerny, der als unabhängiger Forscher an der Studie beteiligt war. Es sei der Imperativ, diesen Anteil zu reduzieren und den Klimawandel zu bekämpfen, während es zugleich gelte, die Arbeitsplätze zu erhalten oder neue zu schaffen in einem Sektor, der von Elektrifizierung, alternativen Kraftstoffen, Digitalisierung und Automatisierung geprägt sei, erklärte Böll-Stiftungs-Präsidentin Ellen Ueberschär bei einer Web-Präsentation der Ergebnisse.
Die Direktorin der Böll-Stiftung Eva van de Rakt bei der EU legte zudem Wert auf die Feststellung, dass diese Transformation nur dann wirklich nachhaltig sein könne, wenn sie sozial ausgewogen und gerecht sei. Sie sieht zwar viele Chancen und Gelegenheitsfenster, die auch durch den Europäischen Green Deal und EU-Wiederaufbaufonds entstünden, warnt allerdings auch vor Risiken und Hindernissen, die es zu beachten und überwinden gelte. Man müsse die Leute wieder dort abholen und da anknüpfen, wo man vor der Pandemie bereits war, appelliert Keim.
Green Deal als Rahmen - Geld muss richtig investiert werden
Der überwölbende Rahmen des European Green Deal sei daher begrüßen, er könne aber nur erfolgreich sein, wenn auch die finanziellen Mittel bereitgestellt würden, plädieren Überschär und van de Rakt. Diese müssten dann auch in die richtigen Transportinfrastrukturen und Mobilitätsformen gelenkt werden, mahnen sie an. Die Pandemie-Pakete müssten daher verknüpft werden mit einem klaren Commitment zur Transformation und Nachhaltigkeitskriterien. Man begrüßte in dem Kontext auch das für 2021 von der EU ausgerufene "Jahr der Schiene". Diese müsse das starke Rückgrat eines resilienten und nachhaltigen europäischen Transportsektors sein. Dafür brauche es aber eine Überwindung nationaler Limitierungen mit dem Ziel, ein transeuropäisches und integriertes Netzwerk über alle Grenzen hinweg zu schaffen. Auch stillgelegte Strecken müssten reaktiviert werden. Daher enthält der Atlas auch eine Übersicht über die bereits aktiven oder geplanten Bahn-Projekte, vom Nachtzug bis zu Hochgeschwindigkeitsverbindungen.
"Die Erholung in der Europäischen Union wird nicht anhaltend sein, wenn der Fokus nicht auf zukunftsorientierte Investitionen gerichtet ist", appellieren Ueberschär und van de Rakt.
Grundsätzlich stellen die Autoren fest, dass mit der Pandemie der motorisierte Individualverkehr in der EU zugelegt habe und dieser die Bemühungen um eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen zunichte machen könne. Andererseits sei der Luftverkehr drastisch zurückgegangen und es benutzten viel mehr Bürger als zuvor das Fahrrad als Transportmittel statt des ÖPNV, wie Philipp Cerny erklärt. Der Atlas solle die Vielfalt bereits realisierter Lösungen nachhaltiger Mobilität in der EU darstellen, ergänzt Martin Keim, der insbesondere auf die enthaltenen Faltpläne mit "best practice"-Beispielen verweist. So stellt etwa eine Grafik das leuchtende Beispiel der Stadt Kopenhagen dar, die mit dem Investment von 295 Millionen Euro im Großraum der Metropole sternförmig abgehende Radschnellwege errichtet hat. Deren sozio-ökonomischen Benefit rechnet man aber auf 795 Millionen Euro hoch, mithin ein gutes Geschäft für Umwelt und Lebensqualität in der Stadt. Bis ins Jahr 2045 sollen die heute auf knapp 250 Kilometer verlaufenden, weitgehend ampelfreien und breiten Radschnellverbindungen die Metropole und ihr Umland auf 746 Kilometern verbinden. Überhaupt sieht man im Fahrrad einen "game changer", mit dem sich regionale Wirtschaftsstrukturen durch Radproduktion und kleinere Unternehmen fördern ließen.
Das Auto braucht zu viel Platz - Fossil kann nie klimafreundlich sein
Der motorisierte Individualverkehr stößt an seine Grenzen. Ein europäischer Transporsektor, der von fossilen Kraftstoffen dominiert wird, trägt weiter zur Erderwärmung, zur Luftverschmutzung und zu Lärmemissionen bei, konstatieren die Autoren grundsätzlich. Autos würden deutlich zu viel Platz beanspruchen, der limitierte öffentliche Raum müsse effizienter für Radfahrer, Fußgänger und diverse Formen des öffentlichen Transports genutzt werden, fordern sie weiter. Dabei könnten die Möglichkeiten der Digitalisierung helfen, weil sich damit die verschiedenen Verkehrsträger verknüpfen ließen. Fossile Antriebe könnten niemals klimafreundlich sein. Die Verkehrswende müsse daher mit der Energiewende einhergehen, appellieren die Autoren weiter. Zudem fordern sie, dass die externen Kosten, die beim Autofahren oder Reisen mit fossilen Verkehrsmitteln entstünden, aufgerechnet werden müssten und plädieren für ein "Verschmutzer-bezahlt-Prinzip".
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