CONFERENCE DAYS 2023: Wer haftet wann auf der „Seidenstraße“?

Kravag-Verkehrshaftungsexperte Ralph Häusser und Anja Ludwig, Leiterin des Kravag KompetenzCenters Straßenverkehrsgewerbe und Logistik, nahmen die Teilnehmer der Conference-Days-Veranstaltung mit auf eine juristische Reise auf die Neue Seidenstraße.

Die „Neue Seidenstraße“ bietet eine Reihe von attraktiven Vorteilen, allerdings auch ein ganzes Potpourri an Haftungsproblemen. (Screenshot: Bünnagel)
Die „Neue Seidenstraße“ bietet eine Reihe von attraktiven Vorteilen, allerdings auch ein ganzes Potpourri an Haftungsproblemen. (Screenshot: Bünnagel)
Claus Bünnagel

Die Seidenstraße ist heute längst nicht nur eine historische Bezeichnung der Land- und Seeverbindungen im Altertum bis in die frühe Neuzeit zwischen China und Europa. Die „Neue Seidenstraße“ verbindet seit 2013 in diversen Projekten mittels interkontinentaler Handels- und Infrastrukturnetze die Volksrepublik mit Europa und Afrika. Das bietet allen Seiten eine Reihe von attraktiven Vorteilen, allerdings auch ein ganzes Potpourri an Haftungsproblemen. Über die refererierten Kravag-Verkehrshaftungsexperte Ralph Häusser und Anja Ludwig, Leiterin des Kravag KompetenzCenters Straßenverkehrsgewerbe und Logistik, in einer einstündigen Veranstaltung während der Conference Days des HUSS-VERLAGS.

CIM und SMGS

Die Beförderung von Gütern zwischen Europa und Asien wird durch zwei unterschiedliche Rechtsregime geregelt: die Einheitlichen Rechtsvorschriften CIM und das SMGS-Abkommen. An der Schnittstelle zwischen diesen beiden Rechtsregimen müssen die Sendungen neu aufgegeben und ein neuer Frachtbrief ausgestellt werden. So ähneln sich beide zwar im Haftungsgrundsatz, nämlich der Gefährdungshaftung, und der Haftungsdauer ab Übernahme bis Auslieferung. In den Details gibt es aber durchaus gravierende Unterschiede.

Wo die Unterschiede zwischen CIM und SMGS liegen

So umfasst die Haftung bei CIM neben Güter- auch Verspätungsschäden, während bei SMGS als zweiter Punkt Lieferfristüberschreitungen hinzukommt. Zudem liegen die Haftungsgrenzen im ersten Fall bei 17 Sondererziehungsrechten (SDR) je Kilogramm Bruttogewicht und dem vierfachen Frachtwert. Eine Wert- und Interessedeklaration ist möglich. Bei SMGS gilt der Wert des Gutes, abgestuft zwischen 6 und 30 % der Fracht. Hier ist nur eine Interessedeklaration möglich. Zudem gilt eine Minimis-Regelung, d.h. es kann keine Reklamation unterhalb Summen von 23 CHF für Güter- und 5 CHF für Lieferfristüberschreitungen angemeldet werden. „Bei CIM bekommt man etwas mehr heraus“, kommentierte Verkehrshaftungsexperte Häusser. Eine Aufhebung der Eine Haftungsgrenze gibt es bei CIM für den Fall von Vorsatz oder bewusster Leichtfertigkeit, bei SMGS ist eine solche nicht vorgesehen.

Mitunter „sportliche Fristen“

Mängelrügefristen betragen bei CIM im Fall nicht erkennbarer, also verdeckter Schäden sieben Tage, bei Lieferfristüberschreitung 60 Tage. Letztere ist bei SMGS nicht geregelt, die Frist bei verdeckten Schäden beträgt nur drei Tage – „das ist eine sportliche Leistung, hier als Spediteur rechtzeitig zu reagieren, einschließlich von Übersetzungen von Dokumenten“, kommentierte Häusser süffisant.

Die Verjährungsfrist beträgt bei CIM ein Jahr bzw. zwei Jahre bei Vorsatz und Leichtfertigkeit. Im Vergleich dazu SMGS: neun Monate bei Güterschäden, zwei Monate bei Lieferfristüberschreitung. Als Gerichtsstand stehen bei CIM mehrere zur Auswahl, bei SMGS nur ein solcher im Land der Bahn, die in Anspruch genommen wird.

Bahntransporte

Beim Güterumschlag wegen unterschiedlicher Spurbreiten – z.B. die Umschienung an der belarussischen-polnischen Grenze – war es notwendig, eine so genannte neue Aufgabe, d.h. einen gegenseitigen Übertrag der Angaben von CIM- und SMGS-Frachtbrief durchzuführen. Grund hierfür war die Existenz zweierlei Transportrechts, nämlich des Übereinkommens über den Internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF/CIM) und das Abkommen über den Internationalen Eisenbahntransport von Waren (SMGS). Der heutige Frachtbrief ist sozusagen eine Synthese der beiden Urformate und gilt seit September 2006, in China allerdings erst seit 17.5.2017. Vorteile: Senkung der Kosten für den Spediteur pro neuer Aufgabe (ca. 40 Euro/Frachtbrief), die Beschleunigt des Transports (ca. 40 Min. Abfertigungszeit/Frachtbrief) und die Verringerung des Fehlerrisikos bei Umschreibung und damit erhöhte Rechtssicherheit.

Straßentransporte

Die Coronakrise hat viele Güter zwischen Europa und dem gerade auf Bahnstrecken damals abgeschotteten China auf die Straße verlagert. Hier kamen dann verstärkt die Bestimmungen des CMR-Abkommens ins Spiel, das Europa und einige asiatische Länder ratifiziert haben, China jedoch nicht. Das ist wichtig, denn ausschlaggebend ist, ob das Absender- oder das Bestimmungsland die CMR ratifiziert hat. Bei CMR gilt die Gefährdungshaftung und eine Haftungsgrenze von 8,33 SDR/kg, bei Lieferfristüberschreitung wird die einfache Fracht angesetzt. Vermögensschäden sind ausgeklammert.

Luftfracht

Bei Luftfracht gilt das Montrealer Übereinkommen, das keine Haftungsdurchbrechung selbst bei Vorsatz kennt. Es gibt die Gefährdungshaftung. Bei Güter-und Verspätungsschäden gilt die Grenze von 22 SDR/kg, Vermögensschäden werden nach nationalem Recht bewertet.

Wassertransporte

Intensiv befassten sich Ralph Häusser und Anja Ludwig mit dem Thema Wassertransport zwischen China und Europa. Zur gut 19.000 km langen Hauptroute durch den Suezkanal ist nämlich spätestens mit dem Klimawandel die im Sommer mitunter eisfreie, nur 14.800 km lange Nordpassage als Alternative hinzugetreten. Sie erspart den Transporteuren in allerdings wenigen Monaten im Jahr Zeit, Treibstoff und Emissionen.

Doch auch auf der Hauptroute ist nicht immer freie Fahrt. Ende März 2021 blockierte etwa die quergeschlagene „Ever Given“ für eine knappe Woche den Suezkanal – mit monatelangen Lieferverzögerungen und vielen rechtlichen, teilweise bis heute andauernden Auseinandersetzungen als langer Rattenschwanz im Anschluss. Die Folgeschäden wurden auf 2 bis 7 Mrd. US-$ geschätzt. Die Versicherer der Spediteure werden im Endeffekt nach Ansicht von Ralph Häusser wohl auf den Kosten sitzenbleiben, da diese Summen die Haftungsgrenzen der Reederei bei weitem überschreiten. Zwischen ägyptischer Suezbehörde und Reederei ging es allerdings um Forderungen bis zu 916 Mio. US-$, die aber mittlerweile auf anscheinend rund 100 Mio. US-$ eingedampft wurden.

Hier können Sie das Conference-Days-Event mit Kravag-Verkehrshaftungsexperte Ralph Häusser und Anja Ludwig, Leiterin des Kravag KompetenzCenters Straßenverkehrsgewerbe und Logistik, noch einmal im kompletten Mitschnitt sehen: https://conference-days.de.

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