Binnenschifffahrt: Engpässe auf dem Rhein sollen verschwinden - aber das ist kompliziert

(dpa) Der Rhein ist eine immens wichtige Verkehrsader - und eine mit Engpässen. Die sollen jetzt beseitigt werden, und zwar nicht einfach im komplexen Ökosystem Fluss.

Ein Binnenschiff passiert die Untiefe „Jungfrauengrund“ am Mittelrhein bei Oberwesel. Auch bei Normalwasserstand ragen Steine aus dem Fluss hervor. Der Abschnitt wurde bei der Bundesanstalt für Wasserbau als Modell nachgebaut und dient im Rahmen des Vorhabens „Abladeoptimierung“ der Planung einer durchgehend tieferen Fahrrinne. (Foto: Thomas Frey)
Ein Binnenschiff passiert die Untiefe „Jungfrauengrund“ am Mittelrhein bei Oberwesel. Auch bei Normalwasserstand ragen Steine aus dem Fluss hervor. Der Abschnitt wurde bei der Bundesanstalt für Wasserbau als Modell nachgebaut und dient im Rahmen des Vorhabens „Abladeoptimierung“ der Planung einer durchgehend tieferen Fahrrinne. (Foto: Thomas Frey)
Christine Harttmann

Was sich am Jungferngrund im Mittelrhein im Großen abspielt, wird rund 160 Kilometer südlich in einer Halle in Karlsruhe im Kleinen simuliert. Dort, bei der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), ist die Flusspassage in verkleinertem Maßstab nachgebaut. Das Modell soll dazu beitragen, dass das seit Jahrzehnten geplante Mammutprojekt einer durchgängig größeren Fahrrinnentiefe im Flusstal eines Tages bestmöglich umgesetzt wird - bestmöglich für die Schifffahrt und bestmöglich für die Natur, wie BAW-Leiter Christoph Heinzelmann erklärt.

Offiziell heißt das Projekt "Abladeoptimierung der Fahrrinne am Mittelrhein". Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist es als vordringlich eingestuft. Es soll Engpässe auf der stark befahrenen Wasserstraße Rhein zwischen den Industriezentren im Südwesten Deutschlands und Europas größtem Seehafen in Rotterdam beseitigen.

Das Projekt hat nach Meinung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der einst auch Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz war, eine „herausragende grenzüberschreitende Bedeutung“.

Konzerne wie BASF haben schon eigene Maßnahmen ergriffen

In der Wirtschaft im Allgemeinen und der Binnenschifffahrt im Besonderen stößt das Projekt erwartungsgemäß auf Zustimmung.

„Die Engpassbeseitigung am Rhein muss vorangetrieben werden, damit die Unternehmen nicht mehr jährliche Zusatzkosten in Millionenhöhe tragen müssen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände (LVU) Rheinland-Pfalz, Karsten Tacke, kürzlich.

Großprojekte wie die Abladeoptimierung müssen nach Ansicht der LVU aber schneller und unbürokratischer umgesetzt werden.

Involviert ist in das Projekt auch ein sogenannter Projektbeirat mit Vertretern der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz. In Hessen plädieren das Wirtschafts- und Umweltministerium dafür, das Projekt nachträglich in das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz des Bundes aufzunehmen. Das soll langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller machen. Mit Blick auf das Nutzen-Kosten-Verhältnis des Rheinprojekts verwiesen die hessischen Ministerien darauf, dass allein der durch das Niedrigwasser 2018 entstandene volkswirtschaftliche Schaden bei fünf Milliarden Euro gelegen habe.

Beim Chemieriesen BASF mit seinem Stammsitz in Ludwigshafen am Rhein beliefen sich die finanziellen Auswirkungen des Niedrigwassers 2018 nach Konzernangaben auf 250 Millionen Euro. Seitdem hat BASF auf eigene Maßnahmen ergriffen. Es sei mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde ein digitales Frühwarnsystem für Niedrigwasser entstanden, die Zahl eingesetzter für Niedrigwasser geeigneter Schiffe sei mehr als verdoppelt worden und es werde verstärkt auf alternative Verkehrsträger wie die Bahn gesetzt.

Vorhaben ist bei Naturschützern umstritten

Dennoch werden laut BASF weiter 40 Prozent Transportvolumens per Schiff abgewickelt. Durchschnittlich würden pro Tag 15 Binnenschiffe abgefertigt. Mit Blick auf die sogenannte Abladeoptimierung Mittelrhein teilte BASF mit:

„Leider verzögert sich die Umsetzung dieses enorm wichtigen Projekts durch ein langwieriges Genehmigungsverfahren und Personalmangel in den zuständigen Behörden signifikant.“

Verkehrsminister Wissing verweist auf die von ihm eingesetzte sogenannte Beschleunigungskommission. Auch dank ihr sei eine breit angelegte Stellenoffensive zur Verstärkung des Projektteams mit Ingenieuren und Technikern erfolgt.

Die Prozesse innerhalb des Projekts seien optimiert worden, „um den hochkomplexen Fragen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie bestmöglich gerecht zu werden“.

Bei Naturschützern ist das Vorhaben umstritten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) befürchtet eine erhebliche Bedrohung vieler wichtiger Lebensräume insbesondere an den Ufern.

„Wir plädieren dafür, die geplanten Finanzmittel für die Modernisierung der Schiffsflotte einzusetzen“, sagte Eckhard Genßmann, Vorsitzender der Kreisgruppe Mainz-Bingen.

Forschungsprojekt in Karlsruhe lief 2015 an

In einem Positionspapier des Naturschutzbundes (NABU) heißt es, eine größere Abladetiefe fördere „übergroße Schiffseinheiten auf Kosten der kleineren, besser flussangepassten Schiffe“. Die Entwicklung des Rheins im Klimawandel werde unzureichend berücksichtigt.

„Insbesondere bei Niedrigwasserabflüssen wird das Leben im Rhein noch stärker auf die Fahrrinne beschränkt“, heißt es da.

Die als Lebensräume wichtigen Zonen mit flachem Wasser sowie Nebenläufe würden verstärkt abgekoppelt oder gingen ganz verloren.

Auch damit so etwas nicht passiert, hat das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein die BAW vor Jahren damit beauftragt, mit Forschung Grundlagen für eine rechtssichere und die Interessen ausgleichende Planung zu legen. Ende 2015 lief das Rhein-Projekt bei der BAW an, wie Andreas Schmidt, Leiter der Abteilung Wasserbau Binnenbereich, erklärt. Mittlerweile arbeiten in der BAW rund zehn Ingenieurinnen und Ingenieure anteilig an diesem Projekt.

Grob gesagt geht es um den Rheinabschnitt von Budenheim bei Mainz im Süden bis St. Goar im Norden. Auf dem sind laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) pro Jahr rund 50.000 Güterschiffe (Stand: 2021) unterwegs, sie transportieren fast 60 Millionen Tonnen Ladung. Prognosen sagen laut WSV für die kommenden Jahre einen Anstieg auf mehr als 75 Millionen Tonnen voraus.

Binnenschifffahrts-Verband spricht von „echtem Nadelöhr“

Allerdings beträgt dort die durchgängig garantierte Fahrrinnentiefe nur 1,90 Meter unter dem Gleichwertigen Wasserstand. Das ist ein Niedrigwasserstand, der lediglich an rund 20 Tagen pro Jahr erreicht oder unterschritten wird. Stromauf- und -abwärts sind es 2,10 Meter, also 20 Zentimeter mehr. Das klingt wenig, ist aber bares Geld wert. Zusätzliche 20 Zentimeter an Wassertiefe ließen bis zu 200 Tonnen mehr Fracht pro Schiff zu, sagt Thorsten Hüsener vom Projektteam Mittelrhein der BAW.

Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt mit Sitz in Duisburg bezeichnet die limitierte Fahrrinnentiefe im Mittelrhein als „echtes Nadelöhr“. Wenn die Abladeoptimierung umgesetzt werde, würden Schiffstransporte auch bei Niedrigwasser besser plan- und durchführbar.

„Dies ist wichtig, da die rohstoffintensiven Industriestandorte auf die verlässliche Belieferung durch die Binnenschifffahrt angewiesen sind.“

Schuld an der geringeren Fahrinnentiefe im Mittelrhein sind zahlreiche Untiefen. Die sechs neuralgischsten fokussiert das Projekt der Abladeoptimierung. Es sind der Jungferngrund, der in Karlsruhe nachgebaut wurde, der Geisenrücken, das Lorcher und das Bacharacher Werth im felsigen, engen Tal nördlich von Bingen sowie das Kemptener Fahrwasser und eine Stelle bei Oestrich-Winkel im von Sand und Kies geprägten Rheinabschnitt im Rheingau.

Projektleiter: Es gibt nur individuelle Lösungen

Mit dem Großprojekt Abladeoptimierung Mittelrhein soll die Fahrrinnentiefe auch hier auf durchgängig 2,10 Meter gebracht werden – durch möglichst punktuelle und umweltschonende Eingriffe, die gleichzeitig das Hochwasserschutz-Niveau nicht verschlechtern dürfen, wie Sven Wurms, Leiter des Projekts bei der BAW erklärt.

„Es gibt nur sehr individuelle Lösungen», sagt Hüsener. «Kein Flussabschnitt gleicht dem anderen.“

In Computermodellen und mit dem Rhein-Modell wird bei der BAW geschaut, wo Sedimente von der Strömung in die Fahrrinne getragen und zum Problem werden können. Dann wird geprüft, wie zum Beispiel eine höhere Strömungsgeschwindigkeit und damit eine geringere Ablagerung von Sand und Kies erreicht oder der Transport im Wasser gelenkt werden kann.

Denkbar sind die Errichtung von Buhnen, quer in den Fluss hineinragende Bauwerke, längs zum Fluss verlaufende Bauwerke, Grundschwellen auf dem Flussgrund oder die Verfüllung von Kolken, Vertiefungen im Flussgrund. Im steinigen Rheinabschnitt wird auch punktuelles Abfräsen von Fels auf dem Grund des Stroms nötig sein, bei Beachtung der Eigenschaften der jeweiligen Gesteinsart, von weichem Tonschiefer bis zu harter Grauwacke.

Jungferngrund als besondere Herausforderung

Besonders knifflig ist die Lage am Jungferngrund bei Oberwesel, wie Projektleiter Wurms sagt. Hier macht der Rhein eine 90-Grad-Kurve, Schiffe brauchen für ihre Manöver eine recht breite Fahrrinne, die Strömungsverhältnisse längs und quer zum Flussverlauf sind komplex, auch wegen der gleichnamigen Kiesbank und einem Felseiland namens Tauber Werth.

Die Kiesbank als wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen darf bei Veränderungen keinen Schaden nehmen. Es muss beachtet werden, dass der Nebenarm zwischen der Kiesbank und dem rechten Rheinufer noch durchströmt wird, nicht verlandet, wie Wurms erklärt. Alle möglichen Varianten werden dafür an dem Rheinmodell im Maßstab 1:60 in der Länge und 1:50 in der Höhe nachgespielt.

Für das Modell wurde der Flussgrund mit all seinen Felsspalten und -rippen aus 170 Betonkacheln exakt nachgebaut, bis das Modell voll betriebsbereit war, verging ein Jahr. Statt Sediment wird hier Kunststoffgranulat von der Modellströmung transportiert, in unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlicher Materialdichte in Rot, Weiß und Gelb. Denkbare Wasserbauten werden maßstabsgetreu eingebaut und getestet.

Bundesanstalt soll auch evaluieren

Am besten schneidet nach jetzigen Erkenntnissen die Variante mit individuell geformten Grundschwellen ab, wie Hüsener sagt. Mit ihr gelinge es vergleichsweise gut, das Gros der Sedimente im Wasser weiterzutragen bis in den Abschnitt nahe der weltberühmten Loreley mit Tiefen von bis zu 19 Metern und die Auswirkungen auf die Umwelt gering zu halten.

Die Suche nach solchen viele Faktoren berücksichtigenden Lösungen sei fast schon «die Quadratur des Kreises», sagt BAW-Chef Heinzelmann. Das lässt auch verstehen, warum das Projekt noch viele Jahre dauern dürfte – nicht zuletzt auch wegen der noch anstehenden und zeitraubenden Planfeststellungsverfahren. Das Rheinmodell in Karlsruhe dürfte noch lange stehen, die BAW soll auch nach den Bauarbeiten die ergriffenen Maßnahmen evaluieren.

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