In Tangermünde sagt man «Moin». Der kalte Wind bläst über die Elbe durch die geöffneten Tore der riesigen Werfthalle. Am anderen Ufer stehen die Bäume noch im Hochwasser. Metallschläge hallen durch die Luft. Hammer auf Schiffsrumpf. Metallsägen kreischen, Funken spritzen unter dem Rumpf, fallen an anderer Stelle wie verglühende Sternschnuppen von den Aufbauten. Stromkabel hängen wie Lianen kreuz und quer durch die Luft. «Moin!» «Moin.» Kurzes Nicken mit dem blauen Arbeitshelm.
Olaf Deter steigt über die am Boden liegenden Kabel. Rechts und links, aufgebockt auf riesigen Holzstützen, wird an drei Schiffen parallel gearbeitet. Drei Schiffe, drei verschiedene Stadien.
«Zwischen den einzelnen Schiffen liegen jeweils ein paar Monate», sagt Deter und geht bis ans Ende der Halle.
Bau von 80 Prozent der Schiffe
Hier steht nur ein flacher Rumpf. Rostig, braun, die einzelnen Teile noch nicht verschweißt. Man kann durch daumendicke Spalten ins Innere gucken. Der Rumpf würde sofort voll Wasser laufen.
In der schon etwas älteren Version dahinter ist das Führerhaus bereits zu sehen. Ein Metallgerüst steht ringsum. Das Schiff erinnert ein wenig an ein altes Bügeleisen. Und dahinter ist durch weiße Planen das leuchtende Rosa eines fast fertigen Schiffs erkennbar. Es ist einer der größten Aufträge für die Werft in Tangermünde: drei neue Fähren für den Hamburger Hafen.
«Das weiß ja kaum einer, aber in Sachsen-Anhalt werden etwa 80 Prozent der Binnenschiffe in Deutschland gebaut», sagt Deter. «Selbst in Magdeburg weiß man das nicht», sagt er mit Blick auf die Landespolitik.
Magdeburg, das ist 66 Kilometer elbaufwärts, aber gefühlt noch weiter. Deter ist Geschäftsführer bei SET, der Schiffbau- und Entwicklungsgesellschaft Tangermünde. Er fing 1986 als Azubi auf der Werft an. Jetzt leitet der 54-Jährige die Firma.
Dass die meisten neuen Binnenschiffe in Deutschland aus Sachsen-Anhalt kommen, bestätigt auch der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM). Schon zu DDR-Zeiten habe es viele Werften gegeben, sagt VSM-Vertreter Ragnar Schwefel. Dann sei die Elbe immer unzuverlässiger für die Schifffahrt geworden. Wegen der Konkurrenz aus China und Korea hätten sich viele Werften eher auf Reparaturen konzentriert. Aufgrund des fehlenden Schiffsverkehrs sei das für die Werften in Sachsen-Anhalt aber keine Option gewesen. Sie hätten daher andere Lösungen gesucht: den Neubau von Schiffen.
Alternative Antriebe
In den Fluren des Verwaltungsgebäudes stehen kleine Modelle der in Tangermünde gebauten Schiffe in Vitrinen, oder sie hängen auf Bildern an den Wänden: Die «Gräfin Cosel» und «August der Starke», Schiffe der Weißen Flotte in Dresden, die Touristen über die Elbe fahren. Die «Louisiana Star», der berühmte Schaufelraddampfer aus dem Hamburger Hafen mit Platz für 500 Fahrgäste.
«Aktuell sind wir bei Neubau Nummer 215 angekommen», sagt Deter.
Erst seit der Wende werden bei SET Schiffe neugebaut. Während andere Werften sich eher auf Passagierschiffe oder Flusskreuzfahrtschiffe spezialisiert hätten, liegt der Fokus bei SET auf Spezialschiffen. Boote für die Polizei etwa oder Messschiffe für das Schifffahrtsamt. Boote mit Baggergreifarmen oder zum Auffangen von ausgelaufenem Öl. Etwa 90 Prozent der Aufträge kämen von Behörden.
«Der Vorteil ist, dass wir hier noch alles selber machen, alles in einer Hand haben», erklärt Deter.
Für den Innenausbau beispielsweise werde oft mit einer Tischlerei aus Tangermünde zusammengearbeitet. Seit 1866 gibt es die SET-Werft bereits, aber der Wandel der Branche geht auch hier nicht vorbei. Seit 2007 gehört die Werft zur Heinrich-Rönner-Gruppe aus Bremerhaven. Seitdem habe sich über die Jahre das «Moin» auch in Tangermünde eingeschlichen. Und seit etwa zehn Jahren würden viele Auftraggeber auf alternative Antriebe setzen, erklärt Deter. Auch die drei Hafenfähren für die Hamburger Hadag sind für den Betreiber der Fährlinien ein Vorzeigeprojekt.
In der großen Montagehalle schiebt Deter die weiße Plastikfolie zur Seite und geht unter den Rumpf des fast fertigen Schiffs. Am Heck ragen wie fünf Messer senkrecht die Antriebsblätter hervor. Mit dem Voith-Schneider-Propeller ist das Schiff besonders wendig. Der wahre Clou liege aber im Rumpf, sagt Deter und klettert vorbei an herabbaumelnden Kabeln und Folien, mit Pappe geschützten Fenstern und über abgeklebtem Fußboden ins Innere des Schiffs, wo eher die Sicherungskästen auffallen als ein riesiger Motor.
«Einen wirklichen Maschinenraum hat das Schiff gar nicht mehr», sagt Deter. Stattdessen: «Von hier hinten bis nach vorne zum Bug ist alles voll Elektrik und Batterien - und der Dieselmotor hier.»
Mit den Hybridfähren will die Hamburger Hadag grüner werden. Der Dieselmotor soll mittelfristig, wenn die Technik es hergibt, durch einen Wasserstoffantrieb ersetzt werden. Bis dahin sind die Fähren mit Strom und Diesel unterwegs. Beim Diesel werde sich der Verbrauch mindestens halbieren, sagt Deter. Trotzdem müssten sie die gleiche Geschwindigkeit haben - und das mit bis zu 250 Leuten an Bord.
Viel habe sich im Schiffsbau verändert, sagt Deter.
Es sei wie bei Autos: «Vor 20 Jahren war ein elektrischer Fensterheber vielleicht noch was besonders, heute ist alles voller Technik und Elektronik.» Bei den Schiffen sei das genauso. «Wir haben uns angepasst.»
Viele Werften in Deutschland hätten es nicht getan - oder nicht gekonnt. Die, die noch am Markt seien, seien Werften, die noch als Familienbetrieb durchgehen würden, sagt Deter. In der Hand großer Reeder- und Schiffbaufamilien.
Elektrisch? Warum nicht?
Angepasst an den Markt werde vor allem auf Spezialwissen als auf Masse gesetzt, weiß man auch beim Schiffbauverband.
«Auf kleineren Seen, auf stehenden Gewässern wie auf der Spree, da sehe ich keinen Grund, dass Schiffe nicht elektrisch fahren können», sagt VSM-Vertreter Schwefel. «Aber sobald ich Strömung habe oder Fracht transportiere, dann kann es erstmal nur um Hybridantriebe gehen.»
Die Anforderungen von Politik oder Kunden sind aber nur das eine. Herausforderungen hat die Branche noch ganz andere:
«Die Konkurrenz aus China und Korea, wo der Schiffsbau massiv subventioniert wird», erklärt Schwefel.
Beide Länder seien inzwischen für mehr als 80 Prozent des weltweiten Schiffsbaus verantwortlich. Da könne Europa nicht mithalten, schon bei gar nicht bei riesigen Containerschiffen.
Für Deter sind die Probleme in Tangermünde noch konkreter. Fachkräftemangel zum Beispiel. Früher seien es 20 Azubis gewesen, erzählt er, Im Moment seien es etwa zehn. Insgesamt arbeiten auf der Werft in Tangermünde inklusive Leiharbeitern rund 200 Menschen. Die Größe der Werfthalle sei ein weiteres Problem. Manche Schiffe seien in zwei Teilen gebaut worden. Weil die Werfthalle zu kurz sei, seien sie dann im Wasser zusammengeschweißt worden. Das längste Schiff sei 135 Meter lang gewesen.
Dazu kommt der Wasserstand der Elbe. Einige der Neubauten hätten inzwischen einen Tiefgang von bis zu zwei Metern. Ein Transport die Elbe herunter ist so unmöglich. Deswegen entwickele man gerade eine Art schwimmendes Transportdock, in dem die neuen Schiffe höher gelegt werden könnten, sagt Deter. In den kommenden Tagen wird die erste der drei Fähren für den Hamburger Hafen zu Wasser gelassen. Und bald hört sie dann täglich ein «Moin» und das Kreischen der Möwen.
von Simon Kremer, dpa
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