Bahn statt Lkw: Der Klimaeffekt einer „Europäischen Seidenstraße“

Ein High-Speed-Rail-Link über den Kontinent könnte die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene forcieren und für große CO2-Einsparungen sorgen, belegen Studien.

Symbolbild: Adobe Stock-Mike Mareen
Symbolbild: Adobe Stock-Mike Mareen
Nadine Bradl

In einer Studie aus dem Jahr 2018 schlug das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) den Bau einer "Europäischen Seidenstraße" vor. Kernstück des Vorschlags ist ein Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz, das die Industriezentren Westeuropas mit dem weniger entwickelten Osten des Kontinents verbinden soll. Ergänzend zur damaligen Machbarkeitsstudie legte das wiiw Anfang 2022 auch eine Analyse zum CO2-Einsparungspotenzial beim Personenverkehr für die damals noch erwogene Hauptroute von Lyon nach Moskau vor.

Nun wurde auch eine Abschätzung des CO2-Einsparungspotenzials für den Güterverkehr erarbeitet. Angesichts der neuen geopolitischen Situation durch den Ukraine-Krieg wird dabei als neue Hauptroute allerdings jene von Lyon nach Warschau analysiert, da der ursprüngliche Vorschlag einer Strecke weiter über Minsk bis nach Moskau obsolet ist.

Beträchtliches Einsparungspotenzial

Die neue wiiw-Studie kommt zum Schluss, dass eine Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindung vom französischen Lyon bis zur polnischen Hauptstadt über eine Lebensdauer von 60 Jahren beim Güterverkehr bei voller Auslastung der Züge die Netto-CO2-Emissionen um rund 176 Millionen Tonnen senken könnte. Das entspricht einer Einsparung von etwa 24 Prozent der Gesamtemissionen des EU-Transportsektors in einem Jahr (ohne Luftverkehr), basierend auf den Zahlen von 2018. Miteingerechnet sind hier bereits die Emissionen, die bei Bau, Betrieb und Wartung anfallen würden. Nach 13 Jahren Betrieb wären die bei der Errichtung entstehenden Emissionen kompensiert. Ab diesem Zeitpunkt würde das Projekt also dabei helfen, den CO2-Ausstoß tatsächlich zu verringern.

„Wenn man bedenkt, dass wir hier nur von einer einzigen Strecke mit begrenzter Kapazität sprechen, wäre das CO2-Einsparungspotenzial doch beträchtlich“, sagt Mario Holzner, Co-Autor der Studie und Direktor des wiiw.

Zum Vergleich: 176 Millionen Tonnen an eingespartem CO2 entsprechen etwa den Emissionen einer Großstadt mit über einer Million Einwohnern über 20 Jahre oder dem CO2-Ausstoß der Niederlande im Jahr 2021. Berücksichtigt man noch die eingesparten Treibhausgase durch den Personenverkehr auf dieser Strecke, dürfte sich das CO2-Einsparungspotenzial etwa verdoppeln.

Gemeinsam mit den Co-Autor:innen Aleksandr Arsenev und Erica Angers geht Holzner davon aus, dass der Bau einer solchen Hochgeschwindigkeitstrecke die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene massiv vorantreiben würde.

„Bei guter Planung und grenzüberschreitender Koordination mit der Logistik-Branche könnte eine Schnellzugverbindung über den Kontinent ein enormer Impuls für einen klimafreundlicheren Gütertransport in Europa sein“, konstatiert Co-Studienautor Aleksandr Arsenev.

Die Baukosten werden in Preisen von 2021 mit 164 Milliarden Euro oder etwa 1 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung veranschlagt. 

„Aufgeteilt auf eine Bauzeit von mindestens zehn Jahren und unter Berücksichtigung der positiven konjunkturellen Effekte relativiert sich diese auf den ersten Blick doch beträchtliche Summe“, erklärt Co-Studienautorin Erica Angers.

China vor den Toren

Zudem könnte das ambitionierte Projekt nach Ansicht der Studien:autorinnen auch einen wertvollen Beitrag zur Ausgestaltung einer grünen EU-Industriepolitik zur Erreichung der EU-Klimaziele leisten. Ein High-Speed-Rail-Link über den Kontinent dürfte aber auch als wichtige Erweiterung geplanter oder bereits in Umsetzung befindlicher Bahnstrecken in Europa fungieren. Dazu zählen jene im Rahmen der Drei-Meeres-Initiative von 13 mittel- und ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedern angedachten Projekte, die im Bau befindliche Rail-Baltica-Strecke sowie die kürzlich beim G20-Gipfel in Indien von den USA und der EU vorgestellte neue Seidenstraße zur Anbindung Indiens und des Nahen Ostens an Europa.

Mario Holzner warnt aber davor, letztere nur als Kampfansage an Chinas „Belt and Road“-Initiative zu sehen, bei der sich das Reich der Mitte vor allem in Ost- und Südosteuropa sehr stark engagiert hat: 

„Letztlich sollten sich beide Ideen ergänzen und alternative Möglichkeiten zur Finanzierung dringend benötigter Transportinfrastruktur bieten sowie die gegenseitige Vernetzung zum beiderseitigen wirtschaftlichen Vorteil fördern.“

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