Atomstrom-Debatte: Expertenrat fordert von Wissing substanzielle Vorschläge zur Verkehrswende
Im eigentlich bereits von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) per Richtlinienkompetenz beigelegten Streit um die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nochmal nachgelegt. Er forderte nunmehr in der Frankfurter Allgmeinen Zeitung eine Expertenkommission, die prüfen solle, wie viel längere Laufzeiten für Atommeiller beitragen könnten, den Verkehr nachhaltiger zu machen. Atomstrom verursache nach Wissings Meinung kein CO2 und E-Autos ließen sich so klimafreundlicher als mit Kohlestrom und zudem günstiger betreiben, so die Argumentation des FDP-Politikers.
Expertenrat: Verkehr droht 2030er-Ziele weit zu verfehlen
Dem erteilte jetzt die stellvertretende Vorsitzende des eigens eingerichteten Klimaschutz-Expertenrats der Bundesregierung, der die von Wissing vorgelegten Maßnahmen im Verkehrssektor für völlig unzureichend einschätzte, eine kategorische Absage. Die Emissionslücke sei besonders im Verkehr "sehr, sehr groß", erklärte die Berliner Wissenschaftlerin Brigitte Knopf laut Süddeutscher Zeitung. Bis 2030 könnten die Emissionen um 260 Mio. t CO2 vom eigentlichen Ziel abweichen, mahnte Knopf. "Mit kleinen Korrekturen kommt man da nicht hin", appellierte die Forscherin weiter. Sie wisse nicht, wie die Atomkraft da helfen solle und bezeichnete Wissings wiederholten Vorstoß als "Nebelkerze". Der Strom würde durch eine Laufzeitverlängerung nur minimal billiger, nachhaltiger sei die Atomkraft auch nicht. Es sei plausibler, Umweltenergien zu forcieren.
Und im Übrigen haben wir nicht das Problem, dass wir zu viele Elektro-Autos haben und nicht mehr wissen, woher wir den Strom dafür bekommen sollen. Das Problem ist, dass in diesem Land immer noch Diesel- und Benzin-Autos verkauf werden. (Knopf)
Sie plädierte für die Abschaffung von Dienstwagen- und Dieselprivilegien, für eine Zulassungssteuer für Verbrenner oder eine City-Maut in großen Städten und beklagte, stattdessen setze man "immer noch Anreize in die falsche Richtung".
Der Kanzler hatte schon entschieden
Nach dem Richtlinienvotum des Kanzlers wäre am 15. April 2023 Schluss mit der Atomkraft in Deutschland. Dem widersetzte sich Wissing nun und meinte, wenn man es politisch nicht lösen könne, sei eine wissenschaftliche Klärung notwendig. Der Verkehrsminister ist verpflichtet, nach dem abschlägigigen Votum des Expertenrats über die Maßnahmen im Verkehr weitere substantielle Vorschläge zu machen, die auch über das schnell nachgelegte "Sofortprogramm" hinausgehen. Auch diese wurden als nicht hinreichend eingestuft. Wissing insistiert nun auf Änderungen im Klimaschutzgesetz, um dem säumigen Sektor mehr Handlungsspielraum zu verschaffen.
Roll-Back: Entsetzen bei Koalitionspartnern und NGOs
Beim federführenden Wirtschafts- und Klimaschutzministerium von Robert Habeck (Grüne) ist der Ärger groß und die Rede von "Ablenkungsmanövern" des FDP-Kollegen. Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang wiederholte, jeder Sektor müsse einen Beitrag für die im Gesetz festgelegten Klimaziele leisten. Aus der SPD hieß es von Fraktionsvize Matthias Miersch, Atomkraft sei weder nachhaltig noch günstig. NGOs wie der Bund Naturschutz sind entrüstet, Wissing versuche, davon abzulenken, dass er bisher keine Lösungen für die Probleme im Sektor vorgelegt habe, kritisierte Jens Hilgenberg, Leiter Verkehrspolitik beim BUND.
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