Allianz-Studie: Schifffahrt zwischen Kriegsfolgen und Transportboom

Kaum ist die Pandemie vorbei, stellt die Invasion Russlands die Schifffahrtsbranche vor neue Herausforderungen, bedingt durch Sanktionen, Handelsunterbrechungen, Belastungen der Crews sowie Mangel an Treibstoff. Und dann sind da auch noch die Klimaschutzziele.

Sie sind derzeit Mangelware: Containerschiffe. (Foto: Pixabay)
Sie sind derzeit Mangelware: Containerschiffe. (Foto: Pixabay)
Christine Harttmann

Nachdem die Schifffahrtindustrie noch gut durch das Pandemiejahr 2021 gekommen ist, steht sie jetzt dank russischem Angriffskrieg gegen die Ukraine und Überlastung der Häfen vor einer Reihe neuer Probleme. Die Lage der Besatzungen bleibt angespannt, auch wenn die Corona-Pandemie abebbt. Zugleich setzen die Größe der Schiffe sowie anspruchsvolle Klimaschutzziele die Schifffahrt unter Handlungsdruck, besagt die Safety & Shipping Review 2022 des Versicherers Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS).

Justus Heinrich, Leiter der Schifffahrtsversicherung der AGCS in Zentral- und Osteuropa und Globaler Produktmanager für Schiffskasko der AGCS, beschreibt die Lage als durchwachsen: Die tragische Situation in der Ukraine habe zu weitreichenden Störungen im Schwarzen Meer und anderswo geführt.

„Dadurch haben sich die durch die Covid-19-Pandemie verursachten Probleme in den Lieferketten, bei der Überlastung der Häfen und der Besatzungskrise weiter verschärft. Gleichzeitig geben einige der Folgen des Schifffahrtsbooms, wie die Änderung der Nutzung oder die Verlängerung der Nutzungsdauer von Schiffen, Anlass zur Sorge.“

Die jährliche AGCS-Studie analysiert außerdem die gemeldeten Schiffsverluste und -unfälle über 100 Bruttotonnen. Im Jahr 2021 wurden weltweit 54 Totalverluste von Schiffen gemeldet, verglichen mit 65 im Jahr zuvor. In den vergangenen zehn Jahren gingen die Ladungsverluste um 57 Prozent zurück. Gleichzeitig sind heute weltweit schätzungsweise 130.000 Schiffe unterwegs, während es vor 30 Jahren noch 80.000 waren.

Ein weiteres Problem im vergangenen Jahr waren Brände an Bord der Schiffe. Häufig brechen sie e in Containern aus, deren Ladung nicht oder falsch deklariert sei, heißt es in der Studie. Etwa 5ünf Prozent der verschifften Container sollen nicht deklariertes Gefahrgut enthalten. Besonders problematisch ist es dann, wenn eines der großen Schiffe betroffen ist. Es kann sich dann als allzu schwierig erweisen, einen geeigneten Nothafen zu finden. Als Beispiel nennt die Studie die „X-Press Pearl“, der gleich in zwei Häfen die Zuflucht verweigert wurde, weil sich diese nicht in der Lage fühlten, die Salpetersäure aus einem lecken Tank zu entladen.

Ein eigentlich überschaubarer Zwischenfall auf einem großen Schiff ende dann allzu oft in einem Totalverlust, erklärt Anastasios Leonburg, Senior Marine Risk Consultant bei AGCS. Er weist auf das daraus folgende Problem der Bergung hin:

„Umweltbelange tragen zu steigenden Bergungs- und Wrackbeseitigungskosten bei, da von Schiffseignern und Versicherern erwartet wird, dass sie zum Schutz der Umwelt und der lokalen Wirtschaft alles Mögliche tun.“

Früher sei ein Wrack an Ort und Stelle belassen worden, wenn es keine Gefahr für die Schifffahrt darstellte, so Anastasios.

„Jetzt wollen die Behörden, dass die Wracks entfernt und die Meeresumwelt wiederhergestellt wird, auch wenn das sehr teuer wird."

Hinter vielen der aktuellen Schwierigkeiten in der Branche steht noch immer die Pandemie: Besatzungskrise, Transportboom und Überlastung der Häfen. Zudem hat der wirtschaftliche Aufschwung nach den Lockdowns zu einem Boom in der Schifffahrt geführt. Charter- und Frachtraten erreichen Rekordhöhen, zugleich sind Container Mangelware. Einige Reedereien verleitet dies dazu, Massengutfrachter, Produkttransporter oder Öltanker für den Containertransport einzusetzen oder den Umbau von Tankern zu erwägen. Eine Entwicklung, die von den Autoren der Studie kritisch beäugt wird, weil Stabilität, Brandbekämpfungsmöglichkeiten und Ladungssicherung oft fraglich sind. So seien Massengutfrachter und Tanker sind nicht für den Transport von Containern ausgelegt. Ihre Manövriereigenschaften könnten bei schlechtem Wetter beeinträchtigt sein. Die Besatzung ist möglicherweise nicht in der Lage, in kritischen Situationen richtig zu reagieren.

Einige Eigner verlängern wegen der hohen Nachfrage die Laufzeit ihrer Schiffe. Analysen zeigen jedoch, dass ältere Container- und Frachtschiffe eher zu Schäden neigen, da sie unter Korrosion leiden und Systeme und Maschinen tendenziell häufiger ausfallen. Das Durchschnittsalter von Schiffen, die in den letzten zehn Jahren in einen Totalschaden verwickelt waren, liegt bei 28 Jahren.

Doch Verluste und überalterte Frachtschiffe sind momentan nicht das einzige Problem der Branchen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine belastet die Schifffahrtsbranche in vielerlei Hinsicht. So kommt es zusätzlich zum Verlust von Schiffen und Besatzungsmitgliedern im Schwarzen Meer. Die Sanktionen führen zu einer Unterbrechung von Handelsströmen. Aber auch im täglichen Betrieb wirkt sich laut der Studie der Krieg auf Besatzungen, die Verfügbarkeit von Treibstoffen und die Cybersicherheit aus. So stammen etwa zehn Prozent der Seeleute aus Russland, vier Prozent aus der Ukraine. Und je länger der Konflikt andauert, desto stärker wirkt er sich auf den globalen Handel mit Energie und anderen Rohstoffen aus. Schiffseigner könnten sich gezwungen sehen, befürchten die Studienautoren, auf alternative Treibstoffe auszuweichen, die aber oft minderwertig sein können. Das erhöht die Gefahr von Maschinenschäden.

Generell erlebt die Schifffahrt derzeit eine noch nie dagewesene Überlastung der Häfen, die Crews, Hafenpersonal und Anlagen unter zusätzlichen Druck setzt.

„Das Be- und Entladen von Schiffen ist ein besonders riskanter Vorgang, bei dem kleine Fehler große Folgen haben können. In stark frequentierten Containerhäfen gibt es nur wenig Platz, und erfahrene Arbeitskräfte, die für die ordnungsgemäße Abfertigung der Container erforderlich sind, sind rar. Wenn dann noch schnelle Umschlagzeiten hinzukommen, kann dies zu einem erhöhten Risiko führen", erklärt Justus Heinrich.

Da die internationalen Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels an Dynamik gewinnen, gerät die Schifffahrtsbranche außerdem zunehmend unter Druck, klimafreundlicher zu werden. Die Treibhausgasemissionen sind zwischen 2012 und 2018 um rund zehn Prozent gestiegen. Die Studienautoren erwarten, dass die Dekarbonisierung der Branche große Investitionen in grüne Technologien und alternative Kraftstoffe abverlangt. Eine wachsende Zahl von Schiffen stellt bereits auf Flüssigerdgas (LNG) um, während andere alternative Kraftstoffe in der Entwicklung sind, darunter Ammoniak, Wasserstoff und Methanol sowie elektrisch betriebene Schiffe.

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