Allianz Commercial: Schiffshavarien sinken auf Rekordtief

Trotz zunehmender Risiken auf den Weltmeeren verzeichnet der aktuelle Safety and Shipping Review ein Rekordtief für die Zahl ausgefallener großer Schiffe. Doch die Branche steht vor einigen Herausforderungen…

Dunkle Wolken für die Schifffahrtsbranche? Zwar sinkt die Zahl der Havarien, doch Kriege und geopolitische Konflikte haben große Auswirkungen auf die Schifffahrtsbranche - und auch die Dekarbonisierung der Flotten gilt es, in Angriff zu nehmen. (Symbolbild: Pixabay)
Dunkle Wolken für die Schifffahrtsbranche? Zwar sinkt die Zahl der Havarien, doch Kriege und geopolitische Konflikte haben große Auswirkungen auf die Schifffahrtsbranche - und auch die Dekarbonisierung der Flotten gilt es, in Angriff zu nehmen. (Symbolbild: Pixabay)
Anna Barbara Brüggmann

Vor 30 Jahren betrug die Zahl havarierter großer Schiffe pro Jahr etwa 200, 2023 war es hingegen nur noch 26, so die Ergebnisse des aktuellen Safety and Shipping Review von Allianz Commercial. Dies entspreche einem Rückgang von mehr als einem Drittel gegenüber 2022 (41) und mehr als 70 Prozent im Vergleich zu 2013 (729).

Herausforderungen

Zugleich stehe die Branche jedoch vor zahlreichen Herausforderungen - Gefahren durch Kriege und geopolitische Spannungen, Folgen des Klimawandels sowie der zunehmende Druck zur Dekarbonisierung der Flotten.

„Konflikte wie im Gazastreifen und in der Ukraine verändern die globale Schifffahrt und wirken sich auf die Sicherheit von Besatzung und Schiffen, Lieferketten und Infrastruktur und sogar auf die Umwelt aus. Die Piraterie ist vor allem am Horn von Afrika auf dem Vormarsch, während anhaltende Störungen durch die Dürre im Panamakanal zeigen, wie sich der Klimawandel auf die Schifffahrt auswirkt“, so Kapitän Rahul Khanna, Global Head of Marine Risk Consulting, bei Allianz Commercial, und ergänzt: „Diese zusätzlichen Risiken kommen zu einer Zeit, in der sich die Branche ihrer größten Herausforderung, der Dekarbonisierung, stellen muss".

Havarien

729 Gesamtausfälle seien in den letzten zehn Jahren gemeldet worden. Besonders groß ist die Zahl an Havarien dem Bericht zufolge in der Seeregion Südostasien - sowohl im letzten Jahr als auch im letzten Jahrzehnt (mit 184 havarierten Schiffen). Auf sie entfiel fast ein Drittel der im letzten Jahr verlorenen Schiffe (8).

An zweiter Stelle stehen laut Review das östliche Mittelmeer und das Schwarze Meer mit sechs Ausfällen – hier sei die Zahl im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Bei über 60 Prozent der 2023 weltweit ausgefallenen Schiffe handle es sich um Frachtschiffe.

Als Hauptursache für alle Gesamtverluste nennt der Bericht mit einem Anteil von 50 Prozent gesunkene Schiffe. Extreme Wetterbedingungen waren für mindestens acht Schiffsverluste weltweit verantwortlich, so die Angaben – doch die Dunkelziffer sei wahrscheinlich höher.

Die Zahl der weltweit gemeldeten Schiffsunfälle ist im Jahr 2023 leicht zurückgegangen (2.951 gegenüber 3.036), die höchste Zahl (695) sei auf den Britischen Inseln zu verzeichnen.

Ebenfalls zurückgegangen ist die Zahl der Brände an Bord von Schiffen: Im Jahr 2023 wurden dem Review zufolge 205 Brandfälle gemeldet. Mit 55 Totalverlusten in den letzten fünf Jahren seien Brände jedoch weiterhin ein zentrales Sicherheitsproblem auf größeren Schiffen.

Bedrohungen und Sicherheitsrisiken

Vorfälle wie der Krieg im Gazastreifen würden nach Angaben von Allianz Commercial die zunehmende Anfälligkeit der weltweiten Schifffahrt gegenüber geopolitischen Konflikten verdeutlichen.

Im Roten Meer seien als Reaktion auf den Konflikt mehr als 100 Schiffe von Huthi-Rebellen angegriffen worden. Die Beeinträchtigung der Schifffahrt in der Region werde in absehbarer Zukunft bestehen bleiben.

Als weiteres Risiko seien zunehmende Angriffe somalischer Piraten zu sehen. Auch Drohnen stellen laut Khanna ein Sicherheitsrisiko dar.

„Drohnen sind als neue Technologie eine zunehmende Bedrohung für die Handelsschifffahrt. Sie sind billig, einfach herzustellen und ohne Schutz der Kriegsmarine schwer abzuwehren“, sagt Khanna. „Weitere technologiegestützte Angriffe auf die Schifffahrt und Häfen sind durchaus denkbar. Die Berichte über GPS-Störungen auf Schiffen nehmen zu, insbesondere in der Straße von Hormus, im Mittelmeer und im Schwarzen Meer.“

Darüber hinaus hat der Versicherung zufolge die schrittweise Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen russische Öl- und Gasexporte zum Wachstum einer beträchtlichen „Schattenflotte“ von Tankschiffen beigetragen.

Diese umfasse mittlerweile zwischen 600 und 1.400 Schiffe, die bis dato in mindestens 50 Zwischenfälle verwickelt gewesen seien, darunter Brände, Maschinenausfälle, Kollisionen, Kontrollverlust und Ölverschmutzung.

„Es handelt sich zumeist um ältere, schlecht gewartete Schiffe, die außerhalb der internationalen Vorschriften und oft ohne angemessene Versicherung betrieben werden. Dies birgt ernsthafte Umwelt- und Sicherheitsrisiken“, erklärt Justus Heinrich, Leiter der Schifffahrtsversicherung in Deutschland und der Schweiz bei Allianz Commercial. „Die Kosten dieser Vorfälle fallen oft den Regierungen oder den Versicherern der anderen Schiffe zur Last.“

Umwege

Die Angriffe auf die Schifffahrt in den Gewässern des Nahen Ostens hätten auch den Transitverkehr auf dem Suezkanal und den Handel stark beeinträchtigt - dieser sei seit Anfang 2024 um mehr als 40 Prozent eingebrochen – besonders belastend nach den anhaltenden Störungen durch die Dürre im Panamakanal, so die Versicherer.

Globale Lieferketten stünden vor einer weiteren Belastungsprobe, weil sich unabhängig von den alternativen Routen lange Umwege und höhere Kosten ergeben.

Die Umwege hätten außerdem Auswirkungen auf die Risikolandschaft und die Umwelt. Stürme und raue See könnten für kleinere Schiffe, die normalerweise Küstengewässer befahren, eine größere Herausforderung darstellen. Infrastrukturen zur Unterstützung, beispielsweise Nothäfen – im Falle größerer beteiligter Schiffe - stehen möglicherweise nicht zur Verfügung, verdeutlicht Allianz Commercial.

Die umgeleiteten Schiffe würden außerdem die Geschwindigkeit erhöhen, um den Zeitverlust durch den Umweg zu minimieren – was wiederum höhere Emissionen zur Folge habe.

Umleitungen aufgrund der Situation im Roten Meer werden dem Bericht zufolge bereits als einer der Hauptgründe für den Anstieg der Emissionen im EU-Schifffahrtssektor um 14 Prozent im Jahr 2024 genannt.

Ökologische Herausforderungen

Um die Ziele zur Reduzierung der Emissionen zu erreichen, sei ein Mix aus verschiedenen Strategien erforderlich, unter anderem Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, die Einführung alternativer Kraftstoffe sowie innovative Schiffskonstruktionen und Antriebsmethoden.

Zur Dekarbonisierung müsse die Branche einerseits eine Infrastruktur entwickeln, die den Betrieb von Schiffen mit alternativen Kraftstoffen unterstützt und gleichzeitig fossile Kraftstoffe auslaufen lassen.

Der Umgang mit alternativen Kraftstoffen, die giftig oder hochexplosiv sein können, stelle ein potenzielles Sicherheitsproblem für Hafenbetreiber oder Schiffsbesatzungen beim Umgang mit alternativen Kraftstoffen dar.

Kapazitätsengpässe

„Die Erhöhung der Werftkapazitäten wird von entscheidender Bedeutung sein, da die Nachfrage nach umweltfreundlicheren Schiffen zunimmt. Diese Kapazitäten sind derzeit durch lange Wartezeiten und hohe Baupreise begrenzt", sagt Heinrich.

Seiner Aussage nach müssten bis 2050 jährlich über 3.500 Schiffe gebaut oder umgerüstet werden - doch die Zahl der Werften habe sich zwischen 2007 und 2022 mehr als halbiert.

Kapazitätsengpässe auf den Werften könnten sich auf Reparaturen und Wartung auswirken, lange Verzögerungen bei beschädigten Schiffen seien möglich.

Der aktuelle Safety and Shipping Review nennt Maschinenschäden oder -ausfälle als häufigste Ursache für Schiffsunfälle - diese hätten im Jahr 2023 weltweit mehr als die Hälfte der Unfälle ausgemacht (1.587).

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