4. Nationale Radlogistik-Konferenz: Wie Bikelogistik (endlich) in die Breite kommt
Es ist ein großes und für den Klimaschutz essentielles Ziel: 30 Prozent Lastenradlogistik in den Innenstädten. Und doch liegt es so fern, weil die Skalierung stockt, der von den Pionieren der Branche so bezeichnete "Gamechanger Cargobike" kommt nicht recht aus den Puschen, wie die Debatten auf der mittlerweile 4. Nationalen Radlogistik-Konferenz des Radlogistikverband Deutschland (RLVD) zeigten, die in Darmstadt stattfand. Doch es ist ein ganzer Mix an retardierenden Momenten, die eine massenhaften Verbreitung der von Cargobikes im urbanen Gewerbe aktuell noch ausbremsen. Allem voran die fehlende Lastenradinfrastruktur in den Städten, die verhindern, "dass das Lastenrad seine Vorzüge ausspielen kann", wie stellvertretender RLVD-Vorsitzender und Radlogistiker Martin Schmidt von Cycle Logistics beklagte.
Auch Anke Schäffner vom Zweirad-Industrie-Verband e.V. ZIV verwies darauf, dass die Debatte, ob Lastenräder den Radweg nutzen dürften, verfehlt sei: Schließlich seien 99 Prozent der Radwege unterdimensioniert. Unabhängig von der eher technischen Diskussion, ob ein bis 600 Kilo schweres Lastenrad überhaupt noch ein Rad sein, hält sie auch mit einspurigen Lastenrädern bis 250 Kilo für möglich, jede zweite Transporter-Fahrt in der Stadt zu ersetzen.
Falscher Rahmen: Das Straßenverkehrsrecht engt Spielräume ein
Wurzel dieses infrastrukturellen "Übels" ist ein antiquiertes Straßenverkehrsrecht nebst StVZO, die immerhin gerade im Reformprozess ist, wie Prof. Dr. Follmann, Professor im Fachbereich Bauingenieurwesen der Hochschule Darmstadt, Lehrgebiet Verkehrswesen in seinem Appell für "Infrastruktur für die sichere Nahmobilität" lobend erwähnte. Dennoch mahnte einmal mehr die kommunale Entscheidungsfreiheit über "Tempo 30" als Schlüsselelement an.
Auf das jüngst beschlossene Nahmobilitätsgesetz verwies wiederum ein Vertreter des hessischen Verkehrsministeriums, das die Basis legen soll, dem Lastenrad wieder zu der Stellung im "Modal Split" der Logistik zu verhelfen, die es historisch betrachtet schon mal innehatte. Es gehe darum, unter den Vorzeichen von Klima-, Lärmschutz und Umgestaltung der Städte Logistik anders zu organisieren als bisher. Aber es braucht eben auch Flächen und Grundstücke für Mikrodepots, die ein großer Kostenposten sind, wie die Praktiker von Vemo aus Köln um Gründer Paul Schwarzelühr bestätigten.
Unter aktuellen Gegebenheiten ist das Bike benachteiligt
Er wies einmal mehr auch auf den Faktor Gehalt hin, denn Nachhaltigkeiteit bedeute für ihn auch ordentliche Löhne zu zahlen, die einen im Wettbewerb natürlich eher ins Hintertreffen brächten. 30 bis 60 Prozent teurer als der Transport mit einem konventionellen Sprinter, so taxiert der Jungunternehmer aktuell den "Lastenradzuschlag". Ebenfalls von 60 Prozent Cargobikelogistik-Plus gegenüber der konventionellen Logistik geht Gerd Seber, Group Manager City Logistics & Sustainability im DPD-KEP-Rahmen aus, der einen raren Einblick in die Kostenrelationen unter aktuellen Rahmenbedingungen gibt.
Man muss den "use case" gründlich suchen
Schwarzelühr sucht dennoch aus Überzeugung und im Streben nach besserer Stadtlogistik sein Heil in speziellen Nischen und Branchen, die den Nachhaltigkeitsfaktor höher bewerten. Das ist überhaupt ein Faktor, der bisher zu wenig berücksichtigt wird, so der Tenor der Runde. Schließlich gehe es bei der Transformation der urbanen Logistik nicht um einen Selbstzweck, sondern um dringend notwendigen Klimaschutz.
Wenn man es richtig anstellt, kann aber schon heute ein "Business Case" draus werden, aus der Lastenradlogistik. Bei Fulmo in Leipzig hat man sich mit viel Geschick eine Nische erobert, die sich lohnt. Auch bei dem Projekt Sammelheld von interzero in Berlin hat man aus dem Abfallsammeln per Lastenrad ein Geschäft geformt, das läuft. Und auch bei der Firma Supergreen, wie Carina Heinz aus Berlin darlegte. Man müsse aber den richtigen "use case", also Anwendungsfall suchen und hier mit allen Mitteln für eine hohe Auslastung sorgen, etwa auch mit der Integration "reverser Logistik", sprich Retouren in den Prozess. Dann könne man durchaus "schwarze Zahlen" schreiben, wie Heinz ermutigt, die auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Institut für Urbanistik tätig ist.
Eher nicht im B2C zu machen
Das war übrigens dem Projekt LieferradDA trotz intensiver Bemühungen am Ende nicht gelungen, wie Axel Wolfermann, Fachbereich Bauingenieurswesen, Bereich Verkehrswesen und Johanna Bucerius, Fachbereich Wirtschaft, Hochschule Darmstadt berichteten. Am ehesten sah man in diesem Projekt noch Potenzial im Bereich Catering, etwa für Kitas, oder bei Einsätzen mit festen Touren und Planbarkeit im B2B-Bereich. Einzelhandel und B2C habe sich als schwierig herausgestellt, so die Erkenntnis aus dem Hochschulprojekt.
Den Lastenrädern wird zu wenig zugetraut
Es werde generell den Lastenrädern nicht zugetraut, auch Frachten bis 250 Kilo befördern zu können. Das müsse den Leuten bewusster gemacht werden. Und das geschieht eben nur, wenn man es mal ausprobiert, appelierte die Unternehmerin. Sie schlug auch vor, die kostenseitige Schieflage durch Auflagen bei Ausschreibungen zu nivellieren, die eben - siehe oben - den Faktor Umwelt stärker gewichten. Schließlich müsse man die Logistikdienstleistung auch in ein anderes Licht rücken: Weg von einem Billigimage, hin zu Qualitätsdienstleistung, die in ihrem Falle von den Kunden durchaus geschätzt werde. Nicht zuletzt sei doch das Cargobike auch eine exzellente und positiv besetzte Werbefläche für Unternehmen mit Nachhaltigkeitsanspruch.
Potenziale in allen Gewerben - wenn die das nur wüssten ...
Potenziale in allen Bereichen sieht auch Martin Seissler, selbst Pionier der Lastenradlogistik und heute Geschäftsführer der Verkehrswendeagentur cargobike.jetzt, die für die Organisation der RLVD-Konferenz verantwortlich zeichnet. Viele Branchen seien sich dessen aber gar nicht bewusst, was sich alles befördern lässt per Bike, berichtet Seissler aus der Initiative "Flottes Gewerbe". Etwa Baustoffe auf der letzten Meile oder eben die "reverse Baustofflogistik". Es gebe viele Gewerbe, die mit Lastenrädern etwas anfangen könnten, pflichtete auch Jonas Kremer, Gründer von Citcar und Leiter Geschäftskunden beim Berliner Cargobikehändler isicargo sowie RLVD-Fachvorstand.
DPD kalkuliert nüchtern - und sieht das Bike eben teurer als den Van
Doch auch bei einem großen Player wie DPD gibt es durchaus Anwendungsfälle, in denen das Lastenrad Sinn ergibt. 30 Prozent Lastenradanteil hält Nachhaltigkeitsmanager Gerd Seber allerdings für "sehr sportlich" - und glaubt für die DPD-Sendungsstruktur mit ihrer spezifischen Größe und Gewicht nicht daran. Jedenfalls nicht unter den aktuellen Gegebenheiten. Die Kosten lägen fast auf dem Niveau eines kleinen Vans, wenn man Anschaffung, Wartung und Service sowie die nicht zu unterschätzenden Kosten für ein beim Transporter natürlich unnötigen Mikrodepot mit Abstellmöglichkeit zusammennehme, berichtete Seber aus der Praxis. Auch die Personalkosten seien ähnlich, zudem gebe es auch Fluktuation in der Fahrerschaft. Summa summarum kommt Seber auf eben jene 60 Prozent Cargobike-Plus pro geliefertem Paket.
Immerhin: Die Performance sei bei Van oder Bike ähnlich. Zudem müsse man das auch als Investition in einer grünere Logistik der Zukunft betrachten und die Regularien für Diesel-Transporter würden immer strenger. Auch in der kooperativen Nutzung von Mikrodepots oder Infrastruktur sieht Seber noch Sparpotenzial, sodass die Schere zwischen Van und Bike perspektivisch kleiner werde. Das macht dann doch Hoffnung auf Skalierung.
Die Schere schließt sich
Die dann noch das Schlusspanel mit dem kämpferischen Motto "30 Prozent sind nicht genug" unter die Lupe nahm. Zu den kundigen Diskutanten gehörten Tom Assmann, 1. Vorsitzender des RLVD, Arne Behrensen, Zukunft Fahrrad e.V., Carsten Hansen, Bundesverband Paket- und Expresslogistik BIEK, flankiert von Andreas Schumann, Bundesverband der Kurier- Express-Post-Dienste e.V. BdKEP sowie Liv Langmaack, Hermes Germany GmbH, Benjamin Karting, Junge Fahrzeugbau GmbH und als Vertreterin einer Kommune und Radlogistikhub-Initiatorin Christiane Behrisch, Wirtschaftsbeauftragte im Mobilitätsreferat der Landeshauptstadt München.
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