Emissionsfreier Seehandel?

Die Frage des Treibstoffs in der Schifffahrt dürfte eine eminente werden, wenn der European Green Deal umgesetzt werden soll.

Der Seehandel steht erst ganz am Anfang eines langen Prozesses der Dekarbonisierung. Bild: Pixabay/Julius Silver
Der Seehandel steht erst ganz am Anfang eines langen Prozesses der Dekarbonisierung. Bild: Pixabay/Julius Silver
Claus Bünnagel
Seeverkehr

Während andere Bereiche des Transportwesens ganz langsam die Verkehrswende einleiten und eine nachhaltige Perspektive entwickeln, gibt es im Seehandel mit Frachtern und Tankern bislang kaum Ansätze dazu. Sie sind zu großen Teilen mit besonders umwelt- und klimaschädlichem Schweröl als Energieträger für ihre Dieselmotoren unterwegs.

Und das Problem der hohen Emissionen und Verbrennungsrückstände von schwerölbetriebenen Seeschiffen wird noch drängender werden: Nora Wissner, Researcher Energie & Klimaschutz beim Öko-Institut, verwies in ihrem Vortrag „Fit for 55 – Chance für mehr Ambition im Seeverkehrssektor?“ im Rahmen einer Seminarreihe des Deutschen Maritimen Zentrum e.V. (DMZ) darauf, dass alleine in der EU der Seeverkehr bis 2050 nach wissenschaftlichen Schätzungen um rund 117 Prozent zum Stand 2018 zunehmen wird.

Anteil von vier Prozent an den EU-Emissionen

Heute bereits beträgt der Ausstoß von Treibhausgasen in der Seeschifffahrt rund zwei bis drei Prozent aller THG-Emissionen (THG = Treibhausgas) weltweit. Mehr als 90 Prozent davon sind CO2-Emissionen. Der nationale und internationale Seeverkehr plus die Fischerei emittierten 2018 rund 1.076 Megatonnen (Mt) CO2-Äquivalente. Zum Vergleich: Der Ausstoß von Deutschland betrug im selben Jahr 858 Mt. An den EU-Gesamtemissionen hatte die Schifffahrt in europäischen Gewässern mit 144 Mt einen Anteil von rund vier Prozent. Rund elf Prozent der verkehrsbedingten THG-Ausstöße in der EU stammen aus Schiffsmotoren.

Ziel des im Juli 2021 vorgestellten Richtlinien- und Verordnungspakets „Fit for 55“ ist es nun, den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren und Europa bis 2050 klimaneutral zu machen und so den European Green Deal umzusetzen. Das legt auch dem Seehandel hohe Hürden auf: Er müsste demnach seine THG-Emissionen bis 2030 um rund elf Prozent und bis 2050 um 78 Prozent verringern – mehr sei aufgrund der erheblich längeren Dienstzeit von Schiffen im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern kaum möglich, sagt die EU. Daher würden auch 2050 noch Restemissionen aus diesem Sektor verbleiben.

Minderungsziele anheben

Wissner fordert an diesem Punkt höhere Ambitionen. Sie hält eine komplette Dekarbonisierung für 2050 für möglich. Dafür müsste das Minderungsziel im Seehandel bis 2035 auf circa 25 Prozent deutlich angehoben werden, bis 2040 auf etwa 60 Prozent und 2045 auf rund 95 Prozent, was zusätzliche Anreize schaffen könne. Sie kritisiert weiterhin, dass das Fit-for-55-Programm wichtige Fragen auf seinem anvisierten Weg offenließe, vor allem die nach dem künftigen alternativen Treibstoff.

Sie verweist darauf, dass Studien zu dem Thema bereits vorliegen, etwa vom Öko-Institut aus dem Jahr 2021. Sie bescheinigen vor allem gasförmigem und flüssigem E-Wasserstoff gute Chancen als künftigem Energieträger in der Seeschifffahrt, der mit regenerativem Strom hergestellt wird. Aber auch E-Methanol und E-Ammoniak – den Favoriten vieler anderer Wissenschaftler – stellt sie eine gute Perspektive aus. Relativ schlecht dagegen schneiden synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, ab. In Bezug auf diese fällt das Fazit also ähnlich negativ aus wie bei vergleichbaren Studien im Straßenverkehr.cb

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Artikel Emissionsfreier Seehandel?
Seite 3 | Rubrik POLITIK UND WIRTSCHAFT