Knappe Energie und wenig Fahrer

Der Angriff auf die Ukraine gefährdet Lieferketten – innerhalb Deutschlands und gen Osten. Auch die neue Seidenstraße wird betroffen sein.

In Folge der russischen Aggression drohen unterbrochene und gestörte Lieferketten. Bild: Pixabay
In Folge der russischen Aggression drohen unterbrochene und gestörte Lieferketten. Bild: Pixabay
Christine Harttmann
Russland-Krise

„Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Morgen nach den ersten Angriffen Russlands auf die Ukraine am 23. Februar spätabends. Und tatsächlich hat dieser Beginn eines Krieges mitten in Europa auf einen Schlag vieles verändert – auch für die Transportbranche. Branchenverbände warnen vor einschneidenden Folgen. Der Bundesverband Logistik & Verkehr-pro (BLV-pro) befürchtet angesichts des Angriffs gar einen Versorgungskollaps in Deutschland. Andere Branchenvertreter reagieren etwas gelassener. Die allermeisten Unternehmen ziehen sich aus der Kriegsregion zurück.

Besonders schwere Folgen fürchtet der BLV-pro für osteuropäische Transportflotten, die laut der aktuellen Mauterhebung rund 50 Prozent des Lkw-Verkehrs in Deutschland stellen. Fast 90 Prozent des Fahrpersonals dort seien, das teilt der BLV-pro mit, aus Ländern wie der Ukraine oder Weißrussland. Dieses könnte zu einem großen Teil wegfallen, weil Soldaten und Reservisten einberufen werden. Jetzt im Kriegsfall werden vor allem ukrainische Fahrer nach Hause aufbrechen, um ihren Familien beizustehen oder Dienst an der Waffe zu leisten.

„Angesichts des europaweit grassierenden Lkw-Fahrermangels ist zum Beispiel ukrainisches oder weißrussisches Fahrpersonal vor allem bei auch in Westeuropa tätigen osteuropäischen Transportunternehmen kaum mehr wegzudenken“, bestätigt BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt. Dass sich die Lage wieder beruhigt, gilt als mehr als unwahrscheinlich. Thomas Hansche, Sprecher des BLV-pro, rechnete ganz im Gegenteil mit einer Verschärfung. Wenn aber nun abrupt und ohne Ersatz die osteuropäischen Transportunternehmen wegbrechen, drohen „englische Verhältnisse“, warnt der Verband.

Einige Fahrer fallen weg

Der Bundesverband Spedition und Logistik DSLV teilt die Sorgen ein Stück weit, sieht es jedoch weniger drastisch. Eine mögliche Abwanderung ukrainischer Arbeitskräfte würde, das erklärte DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster auf Nachfrage, „die Verfügbarkeit osteuropäischer Laderaumkapazitäten zusätzlich einschränken“. Englische Verhältnisse erwartet er dennoch nicht.

Christian Stamerjohanns, Leiter Presse- und Öffentlichkeit beim BVL, sieht dem Wegfall ukrainischer Fahrer ebenfalls eher gelassen entgegen. In den allermeisten osteuropäischen Ländern werde es wohl absehbar keine Mobilmachung geben. „Insofern wird sich der Fahrermangel zwar nicht bessern, aber er wird auch nicht dramatisch zunehmen“, prognostiziert Stamerjohanns.

Weit größeres Ungemach droht wohl an der Preis-Front. Gas könnte knapp werden, der sowieso schon immens gestiegene Preis droht noch weiter zu steigen. Das könnte Auswirkungen haben auf die Produktivität in der Industrie, unter anderem auch auf AdBlue. Der inzwischen beschlossene Ausschluss russischer Banken aus dem Swift-Abkommen wird die Situation vermutlich weiter verschärfen. Der BVL forderte schon vorher, dass der inländische Güterkraftverkehr gestärkt, gefördert und ausgebaut werden müsse, um dem drohenden Kollaps entgegenzuwirken.

Von einer „großen Herausforderung“ spricht Dr. Helena Melnikov vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) beim Blick auf den Dieselpreis. „Es ist ja nicht nur der Spediteur betroffen, sondern auch dem Verlader bricht durch die steigenden Raten die Kalkulationsgrundlage für seine Produkte weg“, sagt die Hauptgeschäftsführerin des BME. „Das setzt sich entlang der Wertschöpfungskette entsprechend fort. Ich rufe dazu auf, dass sich die Beteiligten an einen Tisch setzen und gemeinsam eine Lösung finden.“

Geschäft eingestellt

Doch nicht nur die fehlenden Fahrer und steigenden Diesel-Preise sind ein Problem für die Transportketten. Die HHLA hat am 25. Februar ihr Terminal im ukrainischen Hafen Odessa geschlossen, nachdem zuvor noch die beiden letzten Schiffe abgefertigt wurden. Und die HHLA ist nicht das einzige Unternehmen, das seine Arbeit in der Ukraine eingestellt hat. Auch die Biek-Mitgliedsunternehmen haben kurz nach Kriegsbeginn den Versand in die Ukraine weitestgehend ausgesetzt. Das teilte der Biek-Vorsitzende Marten Bosselmann auf Anfrage mit.

Zu weiteren Störungen in den Lieferketten könnten Behinderungen des Schienengüterverkehrs führen. Da Kasachstan und Belarus politisch eng mit Russland verbunden sind, könnten sich die von der EU beschlossenen Sanktionen auch in diesen Regionen bemerkbar machen. „Dies kann auch Auswirkungen auf die Seidenstraßenverkehre haben, die angesichts angespannter maritimer Lieferketten auch nicht ohne Weiteres auf den Seeweg umgelenkt werden können“, warnt der DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster.

BME-Hauptgeschäftsführerin Dr. Helena Melnikov geht ebenfalls davon aus, dass ein Wegfall der Transportkapazitäten auf der Seidenstraße (Teil-)Alternativen zum Schiffstransport vermissen lassen wird. „In der aktuell immer noch angespannten Situation bei den Chinaverkehren wäre dies ein weiterer herber Dämpfer“, so Melnikov. Da jedoch die Seidenstraße für die Volksrepublik China von hoher strategischer und ökonomischer Wichtigkeit sei und als Prestigeprojekt von großem Interesse, bleibe zu hoffen, dass von chinesischer Seite das Funktionieren der Seidenstraße forciert wird. Allerdings hatte, als Melnikov ihre Einschätzung abgab, die EU Russland noch nicht aus dem Swift-Abkommen ausgeschlossen.

Die daraus resultierenden Zahlungsschwierigkeiten könnten sich nun doch noch drastischer auswirken. Vor allem werden nun wohl die meisten Unternehmen auch Niederlassungen in Russland schließen.ha

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Seite 1 | Rubrik POLITIK UND WIRTSCHAFT