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What(ever) it takes — wie wir den Transport dekarbonisieren
Montagmorgen. Eine neue Woche beginnt. Auch für Susanne. Früh verlässt sie das Haus, nimmt den Bus, steigt um. Auf dem Weg zur Arbeit hält sie bei der Apotheke, um Medikamente zu holen – ihr Sohn hat sich erkältet. Nach einem kurzen Fußweg kommt sie bei der Arbeit an und betritt das Werk. Susanne leitet ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Produktion eines globalen Unternehmens. Teile kommen an. Susanne erledigt ihre Aufgaben. Unterhält sich mit Kollegen. Weitere Teile kommen an. Nach der Arbeit geht sie noch beim Supermarkt vorbei und besorgt Lebensmittel fürs Abendessen. Dann fährt sie mit dem Bus nach Hause.
Susanne ist fiktiv, ich habe sie erfunden. Aber für viele Menschen auf der ganzen Welt ist dieser Tagesablauf völlig normal. Was uns dabei oft nicht bewusst ist: Unsere täglichen Routinen wären kaum möglich ohne Nutzfahrzeuge. Ohne sie würden große Teile unserer Wirtschaft und Gesellschaft stillstehen. Denn Nutzfahrzeuge liefern Waren an große Einkaufszentren und kleine Geschäfte, sie versorgen Baustellen und Krankenhäuser – und sie bringen Menschen zur Arbeit, in den Urlaub oder unsere Kinder zur Schule. Lkw und Busse halten die Welt in Bewegung.
Sie machen einen großen Unterschied – leider auch, wenn es um CO2-Emissionen geht. Deshalb arbeiten wir hart daran, Ersteres zu bewahren und Letzteres zu ändern.
Teil des Problems
Schauen wir uns die (ungefähren) Zahlen an und nehmen Europa als Beispiel: Wir haben etwa sechs Millionen Lkw mit einem Gesamtgewicht größer 3,5 Tonnen im Einsatz. Jedes Jahr legen diese sechs Millionen Lkw rund 300 Milliarden Kilometer zurück. Jedes Jahr tanken diese sechs Millionen Lkw etwa 60 Millionen Tonnen Diesel. Jedes Jahr stoßen diese sechs Millionen Lkw etwa 200 Megatonnen CO2 aus – das entspricht rund 700 Terawattstunden Energie. Jedes Jahr sind diese sechs Millionen Lkw (zusammen mit Bussen) für etwa sieben Prozent der CO2-Emissionen in Europa verantwortlich.
Wenn wir den Klimawandel als globale Bedrohung betrachten, sind Nutzfahrzeuge also erstmal Teil des Problems. Aber sie werden auch immer mehr Teil der Lösung. Über die Dekarbonisierungsgeschwindigkeit entscheiden im Wesentlichen drei Faktoren. Am schnellsten voran kommen wir beim ersten Faktor, den emissionsfreien Fahrzeugen. Den Flaschenhals bilden die anderen beiden Faktoren: Wirtschaftlichkeit für die Kunden sowie eine ausreichende Tank- und Ladeinfrastruktur.
Teil der Lösung
Mittlerweile investieren alle großen Hersteller massiv in emissionsfreie Fahrzeuge (zero-emission vehicles = ZEVs) – die Transformation auf der Fahrzeugseite läuft auf Hochtouren. Und trotzdem sind aktuell viel zu wenig ZEVs im täglichen Kundenbetrieb, gerade wenn wir an die ambitionierten CO2-Reduktionsziele der EU denken. Das verabschiedete Ziel der EU lautet nämlich: Reduktion der CO2-Flottenemissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2019. In Fahrzeuge umgerechnet wären das für Europa gut eine halbe Million ZEVs. Ehrgeizig, aber nicht unmöglich.
Also, wie schaffen wir das? Wir brauchen dafür nicht nur eine emissionsfreie Antriebstechnologie, sondern gleich zwei: batterieelektrische und wasserstoffbasierte Antriebe.
Dr. Andreas Gorbach mit dem Mercedes- Benz GenH2 Truck, der beim „#HydrogenRecordRun“ die 1.000-Kilometer- Marke mit einer Tankfüllung flüssigem Wasserstoff knackte. | Bild: Daimler Truck
Dafür gibt es vier Hauptgründe:
Kunden: Die Transportaufgaben unserer Kunden sind vielfältig – von innerstädtischem Verteilerverkehr bis zur Abfallentsorgung, von Stadtbussen bis zu Baustellenfahrzeugen, von leicht planbaren Routen bis zum Schwerlastverkehr auf der Langstrecke mit hoher Flexibilität. Mal ist die eine, mal die andere Antriebstechnologie die wirtschaftlichere Lösung für unsere Kunden – je nach Anwendungsfall und anderen Faktoren, wie beispielsweise den regionalen Energiepreisen vor Ort.
Infrastruktur: Der Aufbau beider Infrastrukturen, für Batterien und Wasserstoff, benötigt weniger Investitionsaufwand als der (dann deutlich umfangreichere) Aufbau der elektrischen Infrastruktur allein. Warum? Während die Anfangsinvestitionen für die Ladeinfrastruktur vergleichsweise gering sind (man müsste erstmal nur Ladepunkte installieren und an das bestehende Stromnetz anbinden), steigen die Kosten für die Erweiterung des Stromnetzes selbst überproportional.
Bei der Wasserstoffinfrastruktur ist es genau andersherum: Die Anfangsinvestitionen sind vergleichsweise hoch, mit steigender Nachfrage und Nutzung fallen jedoch die relativen Kosten. Und da alle Unternehmer – und damit auch Lkw- und Bus-Kunden – nach dem ökonomischen Optimum streben, führt uns das eindeutig zu zwei Infrastrukturen.
Energieverfügbarkeit: Fast jedes EU-Land ist auf Energieimporte angewiesen. Europa allein importiert heute etwa 60 Prozent der Energie. Und auch in einer emissionsfreien Zukunft ist eine vollständige Versorgung mit regionaler, grüner Energie nicht realistisch und erst recht nicht wettbewerbsfähig. Es wird daher ein globaler Handel mit grüner Energie entstehen, der auf einem Molekül basiert, das Energie speichern und transportieren kann: Wasserstoff.
Effizienz-Balance: Wir sehen eine ausgeglichene „Sun-to-Wheel”-Effizienz zwischen batterieelektrischen und wasserstoffbasierten Lkw. Denn mit grünem Wasserstoff von einer Solarinstallation im sonnigen Süden kann ein Wasserstofftruck eine ähnliche Strecke pro Jahr fahren wie ein Batterietruck, bei dem die Energie von einer Solarinstallation gleicher Größe in Europa hergestellt wurde. Kurz gesagt: Die höhere Effizienz eines Solarpanels in einer sonnigen Region kann die niedrigere Effizienz durch Elektrolyse und Energieverlust im Antriebsstrang ausgleichen.
Aber welche Faktoren sind entscheidend, um emissionsfreie Lkw für unsere Kunden auch wirtschaftlich zu machen?
Mercedes-Benz Trucks hat mit dem eActros 600 die Schallmauer von 1.000 Kilowatt Leistung beim elektrischen Laden durchbrochen. | Bild: Daimler Truck
Never change a running system
Unsere Kunden kaufen einen Lkw nicht zum Spaß. Anders als bei einem Pkw nimmt niemand einen Lkw für eine Spritztour am Wochenende. Ein Lkw ist ein Investitionsgut, das Geld für seinen Betreiber verdienen muss – der Kauf eines Lkw ist somit eine Investitionsentscheidung.
Das bringt mich in der Dekarbonisierungs-Gleichung zum zweiten Faktor: Kostenparität.
Eigentlich einfach: Solange der Betrieb von Diesel-Lkw und -Bussen günstiger ist als der Betrieb von batterieelektrischen oder wasserstoffbasierten Fahrzeugen, werden die meisten Kunden beim Diesel bleiben. Sie werden ihr funktionierendes System aus guten Gründen nicht verändern. Aber was braucht es, damit sie das tun?
cellcentric, das 50:50-Joint-Venture zwischen Daimler Truck und der Volvo Group, hat mit der Pilotfertigung von Brennstoffzellensystemen von Brennstoffzellensystemen begonnen. | Bild: Daimler Truck
Wer einen Lkw betreibt, schaut auf die sogenannten „Total Cost of Ownership“ (TCO). Kurz gesagt sind das alle Kosten, die ein Lkw über seine gesamte Lebensleistung verursacht. Ein wichtiger Kostenpunkt dabei ist der Kaufpreis des Lkw. Zur Wahrheit gehört: Der Kauf eines batterieelektrischen Lkw wird immer teurer sein als der eines Diesel-Lkw. Für die absehbare Zukunft wird allein die 600 kWh-Batterie eines Fernverkehr-Lkw etwa doppelt so teuer sein wie alle Hauptkomponenten im Diesel-Antriebsstrang.
Um diesen höheren Kaufpreis auszugleichen, müssen die Betriebskosten eines ZEVs deutlich niedriger ausfallen. Die relevantesten Kosten, neben den Lohnkosten für Fahrer, sind die Energiepreise.
Eine Kilowattstunde (kWh) kostet heute an öffentlichen Ladestationen in Europa etwa 70 Cent, ein Kilogramm Wasserstoff an der Tankstelle etwa 10 bis 15 Euro. Ein sinnvolles Geschäftsmodell entsteht für Lkw-Kunden bei rund 40 Cent pro kWh und etwa 4 bis 5 Euro pro Kilogramm Wasserstoff.
Energiepreise sind jedoch schwer vorherzusehen, insbesondere angesichts der aktuellen geopolitischen Spannungen. Um die Transformation trotzdem zu beschleunigen, müssen wir einen zweiten Lenkungsmechanismus nutzen: Die Betriebskosten für Diesel-Lkw erhöhen. Die CO2-Maut in Deutschland ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Höhere Steuern für Diesel wären eine weitere Option.
Letztendlich wird grüner, nachhaltiger Transport teurer sein – andere Behauptungen sind unseriös. Aber selbst wenn die Kostenparität zwischen einem ZEV und Diesel-Lkw erreicht ist, müssen Kunden ihre Lkw auch aufladen und tanken können. Und das bringt mich nach den beiden Faktoren Fahrzeuge und Kostenparität zum dritten Faktor der Gleichung: Infrastruktur.
Daimler Truck und der Industriegase-Spezialist Linde haben mit der „sLH2“-Technologie einen Standard für die Betankung mit Flüssigwasserstoff entwickelt. | Bild: Daimler Truck
Henne oder Ei?
Noch vor nicht allzu langer Zeit haben Lkw-Hersteller keine emissionsfreien Fahrzeuge gebaut, weil es keine Lade- und Wasserstoff-Infrastruktur gab. Gleichzeitig haben Energieunternehmen nicht in Infrastruktur investiert, weil es keine Fahrzeuge gab. Das hat sich geändert. Und obwohl es weder das Geschäft noch die Aufgabe von Nutzfahrzeugherstellern ist, investieren sie bisweilen selbst in den Infrastrukturaufbau und stoßen wichtige Initiativen an.
Schauen wir bei der Gelegenheit noch einmal aufs Zahlenwerk: Ein batterieelektrischer Fernverkehrs-Lkw ist auf Megawattladen angewiesen (mindestens 700, bestenfalls 1.000 kW Ladeleistung), damit seine Batterie innerhalb der Ruhepause eines Fahrers ausreichend aufgeladen werden kann. Das entspricht in etwa der Leistung von 200 haushaltsüblichen Steckdosen. In Europa haben wir Stand heute gerade einmal knapp 200 Ladepunkte für Lkw – alle unter 400 kW. Wasserstofftankstellen für Lkw gibt es ungefähr 100 – leider sind die meisten davon nicht für den Fernverkehr geeignet.
Um aber die CO2-Ziele in Europa für 2030 zu erreichen, brauchen wir circa 35.000 Megawatt-Ladestationen und ca. 2.000 Wasserstoff-Tankstellen. Oder anders gesagt: Ab heute brauchen wir etwa 400 Megawattladestationen und etwa 30 Wasserstoff-Tankstellen – jeden Monat (abhängig von Größe und Leistung der Station)!
Die letzte Wintererprobung des eActros 600 vor dem Serienstart hat Mercedes-Benz Trucks in Finnland erfolgreich abgeschlossen. | Bild: Daimler Truck
What(ever) it takes
Für eine schnellere Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs brauchen wir jetzt die richtigen politischen Signale, die den Hochlauf von batterieelektrischen und wasserstoffbasierten Fahrzeugen ermöglichen. Diese Signale brauchen einen klaren Fokus auf die Faktoren, die neben ZEVs erfolgskritisch für die Dekarbonisierung sind: Infrastrukturaufbau und Kostenparität.
Die CO2-basierte Maut wird nur dann einen echten Unterschied machen, wenn sie nicht an der deutschen Landesgrenze endet, sondern in ganz Europa zum Einsatz kommt. Und sie wird nur dann ein effektiver politischer Steuerungsimpuls, wenn sich auch das Kaufverhalten der Kunden ändert.
Das wird nur passieren, wenn auch ein dichtes Infrastrukturnetz zur Verfügung steht. Deshalb muss ein signifikanter Anteil – etwa 20 Prozent – der Mauteinnahmen in den Aufbau von Ladestationen und Wasserstofftankstellen investiert werden. Damit das zügig gelingt, müssen wir die Genehmigungsverfahren beschleunigen – im Grunde brauchen wir eine Art „Bureaucracy Reduction Act“. Fest steht: Der Klimawandel wartet nicht, bis wir irgendwann CO2-neutral sind. Wir müssen handeln. Jetzt.
Und ja, die Dekarbonisierung des Verkehrs ist eine riesige Herausforderung. Aber ich sehe sie eher als eine riesige Chance. Die Chance unseres Lebens, einen echten Unterschied zu machen. Das gilt für alle involvierten Stakeholder. Gemeinsam können wir bewirken, dass Lkw und Busse emissionsfrei fahren. Dass sie weiter die Welt in Bewegung halten. Dass Menschen wie Susanne ihre wöchentlichen Routinen beibehalten können. Und dass sich auch Generationen nach Susanne weiterhin auf Lkw und Busse verlassen können – als Rückgrat unseres Alltags, unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft.
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